(c) Andreas Klisch, Germany, 2021

 

Blog zum Neoliberalismus

 

Teil 3: Geschichte der Globalisierung und des Neokonservativismus


Wenn man den Prozess der Globalisierung verstehen will, ist es notwendig, sich mit der jüngeren Geschichte der internationalen Wirtschaftspolitik zu befassen.


Erste Vorläufer eines Welthandels gab es zwar bereits in der Antike, z.B. pflegte das römische Reich ausgedehnte Handelsbeziehungen mit Kelten, Germanen, Wikingern, mit Kleinasien. Es gab die sogenannte „Seidenstraße“, eine Verbindung zwischen Ostasien und dem Mittelmeerraum. Es gab im Mittelalter die „Hanse“, ein Bund von Kaufleuten und Städten zur Sicherung des Handels hauptsächlich im Ostseeraum. Aber diese Handelsbeziehungen waren, bis auf die Seidenstraße, nie wirklich interkontinental, sondern doch eher regional geprägt, sie waren nicht wirklich weltumspannend.


Der Prozess der echten Globalisierung verläuft historisch gesehen in zwei großen Schüben. Der erste Schub fand bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert statt. Grundlegend hierfür waren technische Entwicklungen im Zuge der Industrialisierung seit den 1850-er Jahren. Die Einführung der Dampfschifffahrt ermöglichte schnelle und preisgünstige interkontinentale Handelsverbindungen, die Erfindung des Telegraphen ermöglichte erstmals eine schnelle interkontinentale Übermittlung von Kommunikation, die quasi als erster rudimentärer Vorläufer eines „Internet“ gesehen werden könnte. Die damaligen Großmächte versuchten, ihre weltweiten Pfründe in einer imperialen Kolonialpolitik auszudehnen, deren Folgen gerade in Afrika zum Teil heute noch sichtbar sind.


In diese Phase der Industrialisierung fällt auch zeitgleich die Phase eines erstmalig verwirklichten „Freihandels“. So gab es in der ersten Zeit der Industrialisierung bis hin zum gewaltigen Crash des Gründerbooms im Jahre 1873 einen weitgehenden Abbau protektionistischer Handelshemmnisse. Ausgehend vom 1860 zwischen England und Frankreich geschlossenen Cobden-Chevalier-Vertrag gab es bald ein ganzes Netzwerk von bilateralen Freihandelsverträgen zwischen den damals relevanten Wirtschaftsmächten. Schon damals erwies sich jedoch der ungehinderte Strom des weltweiten Kapitals als Problem, denn dieser war mit verantwortlich für hemmungslose Aktienspekulationen und damit für den Gründer-Crash von 1873, der – von Wien ausgehend – alle maßgeblichen Wirtschaftsmächte ergriffen hatte, auch die USA. Ursächlich war zum ersten eine Überkapazität der industriellen Produktion, für die schnell wachsenden Warenmengen gab es einfach keine adäquaten Absatzmärkte. Aber die skrupellose Spekulation mit Aktien mittels geliehenem Geld, finanziert über faule, nicht wirklich gedeckte Kredite, war der andere wichtige Grund. Immer wieder finden wir übrigens solche Spekulationsblasen mit Hilfe fauler Kredite als Haupt- oder Mitursache vieler schwerer Wirtschaftskrisen vor. Ob bei der schweren Krise von 1929, ob bei der chilenischen Krise der frühen 1980-er Jahre, ob bei der Asien-Krise 1998, ob bei der aktuellen Finanzkrise um 2008: immer wieder haben wir im entfesselten, verselbständigten Finanzkapital, einhergehend mit faulen Kreditblasen, ein wichtiges Leitmotiv als Auslöser schwerer Krisen. Der „Gründerkrach“ von 1873 kann wohl als erste globale Wirtschaftskrise bezeichnet werden. In der Folge gab es wieder eine verstärkte Tendenz zum Protektionismus. Beispielsweise hatte Bismarck für das Deutsche Reich Schutzzölle gegen russische und US-amerikanische Getreideimporte eingeführt. Aber auch ohne den ausgesprochenen Freihandel fand in den letzten zwei Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg in Deutschland wieder ein starkes Wirtschaftswachstum statt. Neue Erfindungen im Bereich der Chemie, Elektrotechnik und im Maschinenbau fundierten damals schon Deutschlands Rolle als eine der führenden Exportnationen.


Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war geprägt von einem globalen Misstrauen, besonders die USA betrieben eine isolationistische, protektionistische Politik. In dem 1930 verabschiedeten "Smoot-Hawley-Zollgesetz" wurden die ohnehin schon hohen US-Zollsätze auf das höchste Niveau seit dem Bürgerkrieg heraufgesetzt. In dieser Phase erreichte der Welthandel nicht wieder die Bedeutung, die er vor dem ersten Weltkrieg hatte. Die schwere Wirtschaftskrise von 1929 hatte ihren Teil dazu beigetragen, die politischen Folgen dieser Krise bis hin zum Scheitern der Weimarer Republik, der dadurch möglich gewordenen NS-Diktatur und dem zweiten Weltkrieg sind bekannt.


Nach dem zweiten Weltkrieg gab es einen neuen Anstieg des Welthandels, und seit den späten 1970-er Jahren, verstärkt seit den 1990-er Jahren, einen neuen Schub der Globalisierung.


Ausgangspunkt dieser Geschichte ist die politische Weltsituation nach dem 2. Weltkrieg. Die Welt war in zwei große Machtblöcke aufgeteilt: die westliche Hemisphäre, politisch, wirtschaftlich und strategisch angeführt von den USA, und der östliche Block, angeführt von der damaligen Sowjetunion. Daneben existierte eine Anzahl sogenannter „blockfreier Staaten“, die teilweise abwechselnd den Versuchen der Einflussnahme der USA oder der Sowjetunion ausgesetzt waren.


Jedenfalls hatte man es mit zwei konkurrierenden politischen und wirtschaftlichen Systemen zu tun, ausgerüstet mit einem gewaltigen militärischen Vernichtungspotenzial. Diese zwei Systeme haben sich jedoch jahrzehntelang erfolgreich in Schach gehalten. Allerdings haben sie nicht selten „Stellvertreterkriege“ in bestimmten, umkämpften Regionen der Welt geführt, um ihre Einflusssphären auszubauen.


Noch während des zweiten Weltkriegs, 1944, begannen die angloamerikanischen Länder bereits damit, die künftige Weltwirtschaftsordnung des westlichen Blocks festzulegen. Die Spaltung in zwei Weltblöcke war zu der Zeit bereits absehbar, die Sowjetunion nahm an der Festlegung der neuen Wirtschaftsordnung nicht teil. Stalin hatte, wie bekannt, längst seine eigenen Pläne. Das Ende des 2. Weltkriegs war ebenfalls bereits absehbar, und man ging nun daran, frühzeitig eine Ordnung zu definieren, die insbesondere solche schweren Wirtschaftskrisen wie die von 1929 künftig nach Möglichkeit ausschließen sollte. Es ist bemerkenswert, wie lange dieses System gehalten hat – trotz aller Schwierigkeiten und Verwerfungen, die es dann zunehmend unter Druck brachten, was Anfang der 1970-er Jahre dann zur Aufgabe des Systems führte.


So fand 1944 im unscheinbaren amerikanischen Städtchen Bretton Woods eine ganz entscheidend wichtige Konferenz statt, die für die nächsten 29 Jahre die Weltwirtschaftsordnung insgesamt prägen sollte. Maßgebliche Verhandlungsführer waren hier der aus Großbritannien stammende bekannte Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes, der Begründer der „keynesianischen Theorie des deficit spending“, und der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Harry Dexter White.


Beide verfolgten unterschiedliche Ansätze, die von den unterschiedlichen wirtschaftsstrategischen Interessen ihrer jeweiligen Mutterländer geprägt waren. Jedoch machte sich der sinkende politische Einfluss Englands und das nahende Ende des Britischen Empire bereits bemerkbar. Die britische Kriegsführung war abhängig von US-amerikanischer Hilfe. Der Preis war die weitgehende Aufgabe des britischen Einflusses auf die Weltwirtschaft und die Übernahme der geostrategischen Macht durch die Vereinigten Staaten, die sich auf der Konferenz mit ihren Vorschlägen weitgehend durchsetzten.


Auf der Konferenz wurde im wesentlichen beschlossen, dass der US-Dollar künftig Weltleitwährung sein würde. Der Wert des Dollar wurde dabei direkt an das Gold gekoppelt. Mit dieser Golddeckung sollte verhindert werden, dass die US-Notenbank zum freien Gelddrucken und damit zum Anfachen einer Inflation verleitet würde. Denn die US-Notenbank, die „Federal Reserve“, wurde verpflichtet, die Devisenreserven, die bei ausländischen Zentralbanken vorrätig gehalten wurden, jederzeit wieder in Gold umzutauschen. Stabilitätskriterium des „Bretton-Woods-Systems“ war also die Golddeckung der Dollarreserven. Eine Art abgeschwächter Goldstandard. Dadurch sollten die ausländischen Banken die Sicherheit erhalten, dass der Dollar immer einen genau definierten Wert behalten würde.


Darüber hinaus wurde vereinbart, dass die ausländischen Währungen zu festen Wechselkursen in Dollar umzutauschen waren. Es gab also nicht, wie heute, freie Devisenbörsen, wo ständig zu frei floatenden Kursen international Währungen gehandelt werden konnten. Sondern es galten feste Preise. Es konnten jedoch Anpassungen in Form von „Aufwertungen“ oder „Abwertungen“ vorgenommen werden, aber immer nur nach Verhandlungen der Mitgliedsstaaten mit den Amerikanern, und nur bei Erfüllung bestimmter Bedingungen. Etwa wegen starker Ungleichgewichte wegen einer stark gestiegenen oder gesunkenen Außenhandelsbilanz. Beispielsweise wurde die Deutsche Mark während der 50-er und 60-er Jahre wegen der starken deutschen Außenhandelsbilanz mehrfach aufgewertet.


Ein wesentliches Merkmal des Bretton-Woods-Systems war die Kontrolle des internationalen Kapitalverkehrs. Die Verschiebung größerer Devisenbestände ins Ausland war genehmigungspflichtig, damit gab es ebenso eine Kontrolle der Auslandsinvestitionen. Spekulative Aktionen gegen Währungen wurden damit zumindest erschwert, konnten allerdings nicht ganz unmöglich gemacht werden.


Auf der Konferenz wurde die Einrichtung wichtiger Institutionen beschlossen, die bis heute weltweit den Handel und die Finanzwirtschaft bestimmen und damit auch das Bretton-Woods-System überlebt haben: Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF). Auch die Organisation zur Förderung des internationalen Handels („GATT“) geht auf das Bretton-Woods-Abkommen zurück. Die einzig wirklich liberalistische Komponente des Bretton-Woods-Abkommens war die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zum Abbau von Handelshemmnissen, insbesondere von Schutzzöllen.


Im Nachhinein kann man sich fragen, ob nicht das 1944 vom Briten John Maynard Keynes vorgeschlagene alternative System, nämlich die Schaffung einer virtuellen Weltleitwährung anstelle des Dollars, sowie die Abgabe der Kontrolle über diese Leitwährung an ein neu zu schaffendes übernationales Institut, eine deutlich nachhaltigere Stabilität gebracht hätte. Keynes muss bereits geahnt haben, wohin es führen könnte, wenn die Golddeckung der Weltleitwährung platzen würde.

Keynes wollte auch eine stärkere Flexibilisierung der Wechselkurse, jedoch setzten sich auch hier die USA mit ihrer Forderung eines strengen Korsetts durch, wonach die Kurse einer Währung nur maximal um 1 Prozent nach oben oder unten schwanken durften. Spätestens seit Anfang der 1960-er Jahre hatte gerade dieses enge Korsett zunehmende Probleme für das System gebracht.


Nach dem 2. Weltkrieg sind fast alle Länder der westlichen Hemisphäre diesem System beigetreten, natürlich auch die Bundesrepublik Deutschland 1949.


Lange Jahre funktionierte das System dann auch relativ klaglos, obwohl es immer wieder z.B. Probleme mit Spekulationen bei bevorstehenden Auf- oder Abwertungen gab. Jedoch geriet das System seit Mitte der 1960-er Jahre zunehmend unter Druck. Hauptsächlich auslösend hierfür war sowohl eine schwere Währungskrise des britischen Pfunds 1965, vor allem aber eine expansive US-amerikanische Ausgabenpolitik im Rahmen des Vietnamkrieges. Die USA versuchten – wie man heute weiß, erfolglos – ihre Einflusssphäre in Südostasien gegenüber dem vordrängenden Einfluss der Sowjets und der Chinesen zu zementieren. Der Vietnamkrieg, aber auch das Wettrüsten im Weltraum, hat die USA eine Menge Geld gekostet. Dieses Geld hat die US-Notenbank über die Notenpresse gedruckt.


Natürlich weckte das bald den Argwohn der Bretton-Woods-Mitgliedsländer. Man fürchtete zurecht um die Stabilität des Dollars und damit um den Wert der Währungsreserven der Zentralbanken. Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle ließ 1968 in den USA die Dollarreserven der französischen Staatsbank in Gold umtauschen, und ein Kriegsschiff (zum Schutz gegen Diebstahl, wohl aber auch als Machtdemonstration) brachte das Gold nach Frankreich. Spätestens nach dieser Aktion war absehbar, dass die USA weitere Umtauschaktionen anderer Staaten bald nicht mehr in Gold decken konnten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die US-Zentralbank die Hosen herunterlassen müsste. In der Tat wurde dann 1971 das abrupte Ende der Golddeckung durch Präsident Nixon bekannt gegeben. Hieraus entwickelte sich eine schwere Währungs- und Wirtschaftskrise, die Anfang der 1970-er Jahre dem 20 Jahre anhaltenden dauerhaften hohen Wirtschaftsaufschwung der westlichen Länder ein Ende bereitete. Nachdem durch das Ende der Golddeckung das Bretton Woods-System bereits 1971 faktisch am Ende war, wurden die Wechselkurse dann 1973 frei gegeben und das Bretton-Woods-System offiziell beendet. Die Währungen konnten jetzt frei „floaten“, mit ständig durch weltweite Käufe oder Verkäufe von Währungen sich selbst neu regulierenden Wechselkursen. Der US-Dollar wurde stark abgewertet und verlor gegenüber der D-Mark in kürzester Zeit über 30 Prozent an Wert. Damals war die westdeutsche Wirtschaft noch weitaus mehr als heute direkt abhängig vom Export in die USA. Die USA waren damals der Haupthandelspartner der Bundesrepublik, was sie inzwischen seit geraumer Zeit nicht mehr sind. Die starke Abwertung des Dollars hatte natürlich ein drastisches Absinken der Exportquoten zur Folge.


Zusammen mit der ersten Ölkrise 1973 hatte diese Wirtschaftskrise für Deutschland unter anderem die konkrete Auswirkung, dass die sozialliberale Brandt-Regierung aufgrund der wirtschaftlichen Sachzwänge einen großen Teil der ehrgeizigen, aber auch teuren Pläne für Sozalreformen beerdigen musste. Es ist gut möglich, dass nicht nur der Stasi-Spion Guilleaume, der unmittelbar als persönlicher Referent Brandts im Kanzleramt platziert war, sondern auch das Scheitern der Reformpläne den Ausschlag für Brandts Rücktritt gegeben haben. Brandt wollte nicht mehr, und er hatte auch kein Konzept vorzuweisen, wie mit der Wirtschaftskrise umzugehen sein sollte. Erst sein Nachfolger Helmut Schmidt hat es geschafft, trotz der weiterhin turbulenten Zeit der 1970-er Jahre einen erfolgreichen Stabilitätskurs zu halten und aus den sehr schwierigen Rahmenbedingungen das relativ beste herauszuholen.

 

Dabei ist Westdeutschland verhältnismässig besser durch die Krisenzeit der 1970-er Jahre gekommen als zum Beispiel Großbritannien. Bedingt durch verschiedene Faktoren, auf die später noch eingegangen wird, war die britische Wirtschaft ins Hintertreffen geraten und wurde sowohl durch die Ölkrise als auch durch die Währungskrise nach dem Zerfall des Bretton-Woods-Systems besonders hart getroffen. In dieser Konstellation funktionierten die vorher erfolgreichen keynesianischen Konzepte nicht mehr, der soziale Konsens zerfiel, wodurch Margaret Thatcher später entscheidenden Einfluss erlangen konnte.


Die schwierigen Rahmenbedingungen der 70-er Jahre haben im zunehmenden Maß den Handlungsspielraum der westlichen Länder bestimmt, und sie wurden durch die zunehmend unberechenbarere US- Außen- und Wirtschaftspolitik vorgegeben.


Im Zuge der Aufgabe des Bretton-Woods-Systems geriet die amerikanische Währung unter Druck. Der Dollar geriet in ernste Gefahr, seine Funktion als Weltleitwährung einzubüßen. Das jedoch hätte für die Amerikaner zur Folge gehabt, weitere Abwertungen des Dollars und damit einen sinkenden Wohlstand im eigenen Land hinnehmen zu müssen.


Unter diesem Aspekt ist der Staatsbesuch des damaligen US-Präsidenten Nixon 1974 in Saudi-Arabien zu betrachten. Viele Beobachter und Autoren vertreten die schlüssige Auffassung, dass die bis heute bestehende sogenannte „Dollar-Hegemonie“ damals durch Nixon auf eben diesem Staatsbesuch zementiert wurde. Als Gegenleistung für strategische Sicherheitsgarantien auf der instabilen arabischen Halbinsel erklärten sich damals nämlich die Saudis bereit, die Garantie abzugeben, dass Öllieferungen von allen Käufern weltweit ausschließlich in Dollar zu bezahlen waren. Der Dollar bekam die Funktion als Hauptwährung für die Bezahlung von Öllieferungen.


Erdöl ist bis heute der Motor der Weltwirtschaft. Vom Brot bis zum Papier wird letztendlich immer an irgendeiner Stelle im Produktions- oder Transportprozess Öl gebraucht. Ohne Öl fährt der Traktor nicht, ohne Öl kann das Papier nicht zur Druckerei gefahren werden, ohne Öl kann kein Plastikbecher für den Joghurt produziert werden, ohne Öl bleibt im Winter die Wohnung kalt.


Alle ehemaligen Mitgliedsländer des Bretton-Woods-Systems waren fortan also gezwungen, ihre eigenen Währungen in Dollar zu tauschen, um mit diesem Geld dann Öl importieren zu können. Daher mussten sie ständig erhebliche Mengen an Dollars vorrätig halten, in Form von Devisenreserven. Diese Reserven haben natürlich den Wert des Dollars künstlich nach oben getrieben.


Fortan war die amerikanische Notenbank in der glücklichen Lage, relativ ungestraft Dollars drucken zu dürfen. Normalerweise muss eine solche Ausweitung der Geldmenge, wenn dies in keinem gesunden Verhältnis zum Wachstum des Bruttosozialprodukts geschieht, zwangsläufig zur Inflation führen. Das ist eine der einfachsten volkswirtschaftlichen Grundregeln. Da die übrigen westlichen Länder, dann auch später die asiatischen Länder wie Japan, Korea und China, gezwungen waren, durch Stützungskäufe und Devisenreserven den Wert des Dollar künstlich hoch zu halten, entstand bereits in den 1970-er Jahren die bis heute anhaltende massive Verwerfung an den Devisenmärkten zugunsten des Monopols eines chronisch überbewerteten Dollars. Die USA wurden in die Lage versetzt, eine wachsende negative Außenhandelsbilanz damit kaschieren zu können. Fortan konnten sie scheinbar straflos gegen eherne Grundgesetze der Ökonomie verstoßen. Bezahlen mussten es immer alle anderen.


Gleichzeitig mit der Aufgabe der festen Wechselkurse hatte das Ende des Bretton-Woods-Systems jedoch einen weiteren folgenschweren Effekt. Es begann ein schleichender Prozess der Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Damit begann aber spätestens unter der Reagan-Administration auch die Ära der spekulativ gesteuerten Finanzwirtschaft. Ein Boom für Investmentbanken, Hedge-Fonds, Broker und Optionsspekulanten wurde eingeläutet. Die Menge des weitweit frei floatenden Kapitals wuchs drastisch. Zunehmend wurde dieses Finanzkapital von der realen produzierenden Wirtschaft entkoppelt und begann, ein immer mehr undurchschaubares Eigenleben zu führen.

Inzwischen soll die internationale Geldmenge, die von der Finanzwirtschaft allein in Form von Finanzmarktanlagen bewegt wird, das 10-fache der Geldmenge betragen, die für tatsächliche Investitionen in der produzierenden Wirtschaft aufgewendet wird. Die Behauptung, dass dieses frei floatende Finanzkapital dem globalen Wirtschaftsaufschwung zugute käme, ist absurd. Während der Zeit der Regulierung der Finanzmärkte in den 50-er und 60-er Jahren hatte vielmehr die Weltwirtschaft weitaus stärkere Wachstumsraten als heute.


Durch die Aufgabe der Kontrolle über die Kapitalströme haben die nationalen Regierungen sich aber auch eines wichtigen Steuerungsinstruments beraubt. Zunehmend bestimmen nun nicht mehr die nationalen Regierungen die Richtlinien der Finanzolitik. Sondern die richtungsweisenden finanzpolitischen Entscheidungen werden in wesentlichen Teilen in den Vorstandsetagen der Finanzbranche getroffen. Gegen den ausdrücklichen Willen des Finanzkartells fällt insbesondere in den USA keine einzige weitreichende fiskalpolitische Entscheidung. So ist z.B. die amerikanische Notenbank „Federal Reserve“ kein Eigentum des US-amerikanischen Staates, sondern sie gehört einem Konsortium aus Großbanken. Ob die Leitzinsen erhöht oder gesenkt werden, das bestimmt nicht der US-Präsident oder der Finanzminister, sondern im wesentlichen dieses Konsortium. Der Präsident hat gegenüber der Notenbank keinerlei Weisungsbefugnis.


Die geschichtlichen Entwicklungen der späten 1960-er und frühen 1970-er Jahre haben also das Bioklima dafür geschaffen, dass die neoliberalistische Wirtschaftstheorie von Friedman sich im Neokonservativismus etablieren konnte. Mit festen Wechselkursen sowie strammen Kapitalmarktkontrollen hätte kein neoliberaler Turbokapitalismus entstehen können. Die Aufgabe des Bretton-Woods-Systems war daher die entscheidende Grundvoraussetzung für die Verwirklichung neoliberalistischer Vorstellungen.


Entscheidend war aber auch die Kapitulation des östlichen Machtblocks.

Während der Zeit des kalten Krieges bis in die späten 80-er Jahre war die Welt in zwei große, konkurrierende Machtblöcke aufgeteilt. Beide Machtblöcke konkurrierten unmittelbar nicht etwa nur mit ihren strategischen, sondern auch mit ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen. Es entwickelte sich ein Wettstreit hinsichtlich des Wohlstandsgefälles. Das sozialistische Modell hatte den Anspruch, „den Arbeitern“ mehr Wohlstand und einen gerechten Anteil am Volkseinkommen zu verschaffen. Da das Volkseinkommen der sozialistischen Länder jedoch durch die bekannte Ineffizienz des Systems niedrig blieb, hatte es das kapitalistische System sehr einfach, seine Überlegenheit herauszukehren, indem man durch leichte Zugeständnisse sowie durch einen Ordoliberalismus bzw. durch soziale Marktwirtschaft auch den unteren Schichten einen vorher nie gekannten Wohlstand verschaffte. Die Einkommen im Westen stiegen in der Nachkriegszeit stark an, ebenso die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Nach 10-15 Jahren waren in Westdeutschland die Kriegsschäden so gut wie bereinigt, das „Wirtschaftswunder“ war im vollen Gange. Die Adenauer-Regierung konnte eine Reform des Rentenwesens auf den Weg bringen, die Rentner bekamen schlagartig mehr Geld. Kinderreiche Familien wurden mit dem Kindergeld unterstützt, Sozialleistungen ausgebaut. Ab den 1970-er Jahren hatte ein großer Teil der deutschen Haushalte ein Auto, TV-Gerät, Waschmaschine, Telefon. Urlaubsreisen ins Ausland waren bereits selbstverständlich. Diese Dinge waren den Bürgern der DDR kaum zugänglich. Für den Erwerb des zweitaktmotorisierten Trabants gab es eine Wartezeit von über 10 Jahren, ein Telefonanschluß war eigentlich nur mit Sonderbeziehungen bzw. für Privilegierte bzw. wichtige Angehörige der Staatssicherheit zu bekommen. Dazu kam die Beschränkung der Reisefreiheit und die staatliche Bevormundung und Bespitzelung. Die Unzufriedenheit war so groß, dass man um das gesamte Land einen schwer bewachten Hochsicherheitszaun legen musste, nur um ein Abwandern der qualifizierten Facharbeiter zu verhindern.

Um den DDR-Bürgern wenigstens die Andeutung eines bescheidenen Wohlstands zu ermöglichen, wurde ab den 1970-er Jahren die Konsumgüterindustrie ausgebaut und auch verstärkt Waren und Vormaterial aus dem Westen, dem sogenannten „NSW“ (nichtsozialistischer Wirtschaftsraum) importiert. Zwar hat die DDR auch im bescheidenen Rahmen Waren in den Westen exportiert, insbesondere Möbel, Textilprodukte und einige elektronische Produkte, letztere stark subventioniert. Jedoch ergab sich aufgrund der zunehmenden Importe ein zunehmendes Ungleichgewicht – ein Außenhandelsdefizit.

Honecker, der dem Westen beweisen wollte, dass die DDR nicht nur mithalten, sondern auch den Westen übertrumpfen könne, hat damit den Grundstein zur wachsenden Außenverschuldung und zum späteren unmittelbar bevorstehenden Bankrott gelegt. Denn die Importe wurden im wesentlichen durch Kredite westlicher Banken und Staaten finanziert, hauptsächlich aus der Bundesrepublik.


Auch wenn es immer noch erstaunlich viel Zeitgenossen gibt, die dem Sozialismus der DDR nachtrauern: man braucht sich nichts vorzumachen. Seit den frühen 1980-er Jahren war die DDR ohne diese Kredite nicht mehr lebensfähig. Bekannt ist die Episode des sogenannten „Milliarden-Kredits“, der zwischen Franz-Josef Strauß und Alexander Schalck-Golodkowski ausgehandelt wurde. Die Probleme wurden dadurch aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Im Jahre 1989 stand die DDR wieder vor dem bald drohenden Staatsbankrott. Aber nicht nur die DDR war pleite. Bereits vorher war u.a. Polen zahlungsunfähig und musste Hilfen des westlichen IWF (!) in Anspruch nehmen. Die Ernährung der polnischen Bevölkerung konnte nur durch Spenden aus dem Westen halbwegs sichergestellt werden. Auch der UdSSR ging es nicht allzu viel besser. Gorbatschow hat durch seine Politik der „Perestroika“ wahrscheinlich zu spät und auch völlig unkoordiniert versucht, Zug um Zug Liberalisierungen einzuführen und die marode und korrupte Staatswirtschaft von einem Teil der Fesseln zu befreien.


Das gesamte sozialistische Lager war abgewirtschaftet, es hatte den Wettlauf gegen das westliche, moderat kapitalistische System verloren.


Seit den 1930-er Jahren, nach der schweren Wirtschaftskrise und der „großen Depression“, war jedoch das westliche Wirtschaftssystem kein rein kapitalistisches mehr gewesen. Die 1930-er Jahre waren auch nach Überwindung der Wirtschaftskrise gekennzeichnet von Handelsprotektionismus und von strengen Bestimmungen zur Kontrolle des Kapitalverkehrs. Nicht nur das nationalsozialistische Deutschland, sondern auch Staaten wie die USA und England verfolgten eine stark regulatorische und protektionistische Wirtschaftspolitik. Während der Bretton-Woods-Konferenz wurden auch keine Erwägungen über eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs angestellt. Man wollte den beteiligten Regierungen den maximal möglichen Gestaltungsspielraum weiterhin belassen.

Nicht nur in Deutschland, sondern teilweise auch in den USA waren auch in den 50-er und 60-er Jahren alle wichtigen Elemente der Infrastruktur verstaatlicht. Das galt für die Energieversorgung, Wasserversorgung, Autobahnen, Post, Telefonbetriebe.

Die Verteilung des Volksvermögens und der Einkommen wies bis in die 1970-er Jahre hinein lange nicht ein so großes Ungleichgewicht auf, wie heute.

Die Anpassungsfähigkeit und Kompromissfähigkeit des bürgerlich-kapitalistischen Systems hat dafür gesorgt, dass es mit dem sozialistischen System ohne weiteres konkurrieren konnte und dieses bereits in den frühen 50-er Jahren überflügelt hat. Das kapitalistische System war bereit, den Beweis zu erbringen, dass es fähig ist, für eine große Schnittmenge der Bevölkerung einen großen Zuwachs an Wohlstand zu bringen und gleichzeitig die immensen Kosten der strategischen Konkurrenz mit dem Ostblock aufzubringen. An diesem Spagat ist der Ostblock gescheitert. Er hat Insolvenz anmelden müssen.


Nach der Auflösung des östlichen Systems entfiel diese Triebfeder zur Mäßigung des kapitalistischen Systems. Der Kapitalismus war „außer Konkurrenz“, er „hatte gewonnen“, und jetzt meinte man, ihn vollends entfesseln zu müssen. Eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung neuer wirtschaftspolitischer Experimente.


Eine weitere Voraussetzung für die Verwirklichung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik war der wachsende politische Einfluss neokonservativer Strömungen in den USA und Großbritannien.

In den USA war Nixon über die dubiose Watergate-Affäre gestürzt. Der Nachfolger Jimmy Carter (nach der kurzen Interimsphase mit Gerald Ford) hat es jedoch nicht geschafft, eine nachhaltige wirtschaftliche und außenpolitische Stabilität zu erreichen. Die Turbulenzen der Währungskrise nach dem Zerfall des Bretton-Woods-Systems und die Ölkrise hatten auch den USA nachhaltig zugesetzt. Wahrscheinlich hat das desaströse Fehlschlagen des Versuchs, die vom iranischen Mullah-Regime besetzte US-Botschaft in Teheran zu befreien (die Hubschrauber der US-Armee mussten aufgrund eines Sandsturms in der Wüste landen...), einen endgültigen Einfluss auf den Stimmungsumschwung der amerikanischen Bevölkerung gehabt. Carter galt bei vielen Amerikanern als „Weichei“. Sein Herausforderer Ronald Reagan war beeinflusst von Ratgebern aus dem Umkreis neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler, und Reagan verströmte das zu der Zeit besonders gefragte Image des „starken Mannes“, er versprach ein starkes Amerika, das es der Welt schon zeigen würde.


Mit zu den ersten Maßnahmen der Reagan-Administration gehörten Steuersenkungen, die vor allem den gutverdienenden Amerikanern zugute kommen sollten. Einer der einflussreichen Ratgeber und Wortführer für Steuersenkungen war der Wirtschaftswissenschaftler Arthur B. Laffer. Der vertrat (und vertritt heute noch) die Ansicht, dass Steuersenkungen auf mittel- oder langfristige Sicht hin sogar zu steigenden Steuereinnahmen führten, weil durch sinkende Steuerbelastungen die Investitionstätigkeit der Unternehmen steige, und weil durch den stimulierenden Effekt auf die Nachfrage die sinkenden Steuereinnahmen durch das Wirtschaftswachstum und daraus resultierende Mehreinnahmen mehr als kompensiert würden.

Präsident Reagan setzte daher Steuersenkungen besonders für Gutverdienende durch, der Spitzensteuersatz sowie die Körperschaftssteuer für Unternehmen wurden drastisch gesenkt.

Wie man heute weiß (sofern es ehrlich zugegeben wird), ist der erwartete Erfolg freilich weitgehend ausgeblieben. Die schöne Theorie, die Arthur B. Laffer angeblich nach einem opulenten Essen in einem Washingtoner Restaurant in Form der bekannten „Laffer-Kurve“ auf einer Serviette aufgemalt haben soll, scheint in dieser Form nicht zu stimmen. Jedenfalls sanken die Steuereinnahmen der USA in den ersten Jahren der „Reaganomics“ drastisch. In der Folge stiegen sie dann tatsächlich wieder an, jedoch – und das ist entscheidend – erreichten sie nie mehr den Umfang wie zu der Zeit vor der Einführung der Niedrigsteuerpolitik. Während der Amtszeit Reagans stieg dagegen die Verschuldung des US-Staats von rund 900 Milliarden Dollar 1980 auf weit über drei Billionen (dreimal tausend Milliarden) im Jahre 1990.

In der Folge hat sich der US-Staat während der nächsten Jahrzehnte weiterhin verschuldet. Die bisher jahrzehntelang geltende Politik eines halbwegs ausgeglichenen Staatshaushaltes wurde Zug um Zug aufgegeben. Nachdem die Clinton-Administration teilweise erfolgreich eine Umkehr versucht hat, kehrte die nachfolgende Bush-Administration die Verhältnisse wieder um und senkte wiederum die Steuern. Seit Anfang des Milleniums hat sich die Schuldensituation des US-Staats jedes Jahr dramatisch verschlechtert. Die Finanzkrise, resultierend aus der fahrlässigen Niedrigzinspolitik der Notenbank und der Immobilienblase, hat ihr übriges dazu beigetragen. Der US-Staat war gezwungen, massiv auf Staatskosten zu intervenieren. Die zwei großen Baufinanzierer Fanny Mae und Freddy Mac wurden quasi verstaatlicht, der US-Staat musste den gewaltigen Versicherungskonzern AIG mit riesigen Kreditzahlungen vor der Insolvenz retten und hat durch den Erwerb großer Aktienpakete den Konzern ebenfalls quasi verstaatlicht.


Nach 2016 hat die Trump-Regierung die Entwicklung der Steuersenkungen und der steigenden Staatsverschuldung noch weiter forciert.


Selbst die ursprünglich in der Reaganomics geltenden monetaristischen Richtlinien zur Geldmengenpolitik wurden ab der Jahrtausendwende insgesamt über den Haufen geworfen.

Zunächst führte unter Reagan der damalige Notenbankpräsident Paul Volcker eine monetaristische Hochzinspolitik ein, die tatsächlich gewisse Erfolge bei der Inflationsbekämpfung hatte. Jedoch stiegen die Preise für Vermögenswerte stark an. Dadurch wurde der Erwerb von Immobilien, besonders aber von Aktien, für die breite Bevölkerungsmehrheit schwieriger.

Eine andere unangenehme Nebenwirkung der Hochzinspolitik war die Aufwertung des Dollars gegenüber anderen Währungen und die dadurch entstehende Schwierigkeit für die US-Industrie, den Export in andere Länder aufrechtzuerhalten. Im Gegenzug wurde der Einkauf von Waren aus dem Ausland, z.B. von Autos aus Japan und Europa, für die Amerikaner billiger. Es entwickelte sich ein starkes Außenhandelsdefizit, das sich bis heute noch stark gesteigert hat und das im übrigen auch von Donald Trump und seiner neu eingeführten protektionistischen Zollpolitik nicht gesenkt werden konnte.


Zug um Zug wurden in der Reaganomics Liberalisierungen umgesetzt, vom Telekommunikationsmarkt über die Wasserversorgung bis hin zur Liberalisierung des Finanzsektors gab es große „Entfesselungen“. Es ergab sich eine starke Tendenz zur Deindustrialisierung, während der 80-er und 90-er Jahre wurden in den USA im erheblichen Umfang Arbeitsplätze im industriellen Sektor abgebaut. 

Der giftige Effekt der monetaristischen Hochzinspolitik der Reaganomics war eine breite Deindustrialisierung, die in den USA bis heute nachwirkt. Damals haben viele Betriebe aus dem Bereich der Schwerindustrie geschlossen oder mussten ihre Kapazitäten drastisch herunterfahren. Sehr hart traf es vor allem die Bezirke im sogenannten "rust belt" rund um Detroit und Chicago. Stahlindustrie, Autoindustrie, Kohleförderung: alle haben Federn lassen müssen. Diese Arbeitsplätze sind nie mehr wiedergekommen, auch nicht nach 2016 unter Donald Trump. Ganze Landstriche sind in der Folge verarmt. Die Stadt Detroit musste im Jahr 2013 Insolvenz anmelden, auch das war eine Folge der Deindustrialisierung, die Jahrzehnte vorher begonnen hatte. Der Aufschwung in der Elektronikindustrie konnte die Deindustrialisierung nicht dauerhaft kompensieren. Gestärkt wurde der Dienstleistungssektor, aber auch der Finanzsektor. Angesichts der Liberalisierungen des Kapitalmarktes entstand ein neuer Markt für Finanzdienstleistungen, der sich zunehmend von der Realwirtschaft entkoppelte und ein mehr und mehr unkontrolliertes Eigenleben zu führen begann – mit den inzwischen sattsam bekannten Folgen.

Der Sündenbock für die Deindustrialisierung und Verarmung der arbeitenden Bevölkerung wurde von Donald Trump in der Globalisierung und bei den "bösen Chinesen" gesehen. Dabei lagen die Ursachen hierfür in der monetaristischen Hochzinspolitik Reagans sowie in der Freigabe der internationalen Finanzströme, wodurch ein Outsourcing noch einmal wesentlich befördert wurde. Ausgerechnet Trump, erklärtermassen in der neoliberalen Denktradition Friedmans, Laffers und Reagans stehend, brüstete sich als Heilsbringer, der die eben wegen dieser Denktradition verschwundenen Jobs wiederbringen werde. Es war prinzipiell absehbar, dass das nicht funktionieren würde. So ist es dann auch eingetreten.


In den traditionellen ökonomischen Lehren haben immer Gesetzmäßigkeiten gegolten, nach denen die Begriffe Außenhandel, Wechselkurs, Inflation, Zinsen, Verschuldung in enger Korrelation stehen. Ein Herumschrauben an einer Stelle beeinflusst immer das gesamte Beziehungsgeflecht. Früher hatte z.B. immer gegolten, dass ein Staat nicht über lange Zeit ungestraft ein hohes Außenhandelsdefizit halten kann, ohne entweder eine Wechselkursabwertung oder eine Inflation bzw. beides hinzunehmen. Und eigentlich gilt es immer noch. Diese Gesetzmäßigkeit ist nicht nur jedem diplomierten Volkswirt, sondern auch dem interessierten Laien seit Jahrzehnten geläufig.


Erstaunlicherweise nehmen es sich die US-Amerikaner jedoch seit über 40 Jahren scheinbar ungestraft heraus, gegen alle diese Gesetzmäßigkeiten der Weltwirtschaft zu agieren.

Sowohl der US-Staat als auch die US-Privatverbraucher häufen Schulden an.

Sie leisten sich seit Jahren ein immenses Außenhandelsdefizit.

Sie konsumieren mehr Waren aus Asien, als sie sich leisten können und haben einen doppelten Pro-Kopf-Energieverbrauch wie die Europäer, während ihre eigene güterproduzierende Wirtschaft im Abbau begriffen ist.

Trotzdem leistet sich die US-Zentralbank niedrige Zinssätze, der Staat blendet mit niedrigen Steuern, die Inflation ist auf niedrigem Niveau, das Wachstum der Wirtschaft wurde uns zumindest bis zur Finanzkrise jeden Tag als vorbildlich hingestellt.


Dabei wird systematisch die Tatsache unterschlagen, dass dieses amerikanische Wolkenkuckucksheim der 80-er und 90-er Jahre lediglich auf dem Monopol des Dollars als Weltwährung gegründet war. Die amerikanische Notenbank kann ungestraft und ungehemmt Dollars drucken. Das führt jedoch nicht zur eigentlich unumgänglichen Inflation, weil die asiatischen Länder, die arabischen Ölexporteure, aber auch Europa, durch diese „Dollarhegemonie“ gezwungen sind, gewaltige Dollarreserven anzuhäufen, um im eigenen Interesse den Kurs zu stützen.

Europa z.B. ist abhängig von Ölimporten, die in Dollar bezahlt werden müssen.

Aber auch der Export in die USA, der unter einem schwachen Dollar leidet, spielt eine Rolle dabei.

Viel mehr noch als Europa sind die asiatischen Länder ganz direkt vom Export in die USA abhängig. Die japanische Autoindustrie z.B. erwirtschaftet 80% ihres Gewinns in den USA. Um diese Exporte auf einem hohen Niveau zu halten, sind sie mehr noch als die Europäer zur Dollarstützung gezwungen. Japan hat keinerlei eigene Ölvorkommen, während die Europäer immerhin noch in Form der Nordseereservoirs auf gewisse eigene Bestände zurückgreifen können, die nicht in US-Dollar zu bezahlen sind.

Der wichtigste Handelspartner der Chinesen sind ebenfalls die USA. Gerade im Konsumartikelmarkt ist der Anteil chinesischer Waren in den USA wesentlich höher als in der EU. Chinas Wirtschaft ist unmittelbar abhängig vom Export in die USA.

Würde auch nur eine der asiatischen Zentralbanken in Japan, China oder Korea einen kleinen Teil ihrer Dollarreserven auf den Markt werfen, dann wäre ein Crash des Dollars die Folge. Es könnte eine Kettenreaktion mit unvorhersehbaren Folgen ausgelöst werden.


Das Scheitern des neoliberalen Experiments in Amerika war schon lange vor der Finanzkrise 2008/2009 absehbar, denn nach dem Crash der „New-Economy-Blase“ im Jahre 2000 drohten die USA unmittelbar in eine langanhaltende Phase der Deflation und Rezession abzurutschen. Es gab zu der Zeit kein neoliberales Patentrezept mehr, um dieses Abrutschen noch zu verhindern. Die Bush-Regierung hatte bereits Steuersenkungen durchgesetzt – trotzdem sprang die Konjunktur nicht an. Angesichts des gewaltigen Außenhandelsdefizits der USA sowie der Niedrigsteuerpolitik, von der man keinesfalls abrücken wollte, gab es keine effektiven Steuerungsmittel mehr. Man hätte das Scheitern des Experiments zugeben müssen. Das war jedoch nicht angedacht. Vielmehr warf man die Warnungen der eigenen Wirtschaftstheorie vor einem künstlichen Anheizen mit Niedrigzinsen über Bord und senkte die Leitzinsen von 6 auf 1 Prozent. Man kippte quasi Benzin ins Feuer. Erst dadurch wurde die sogenannte Immobilienblase angeheizt. Ohne die Niedrigzinspolitik des Alan Greenspan hätte es diese Blase und damit die Finanzkrise 2008 nicht gegeben.

Der Immobilien-Boom wurde befeuert durch den Boom sogenannter "Subprime-Kredite", also Kredite an Personen mit eher schlechter Bonität.

Leute, die es sich eigentlich nicht leisten konnten, bekamen anstandslos Kredite, kauften massenweise Häuser und beliehen diese Häuser dann oft noch mit einer weiteren Hypothek in Höhe des erwarteten Wertzuwachses, um z.B. noch ein Auto oder Konsumgüter anzuschaffen. Amerikanische Kreditagenturen haben Abkommen mit russischen Spammerbanden geschlossen, diese hatten täglich millionenfach Spam-e-Mails für „Mortgages“ (Hypotheken) durch die Welt geschickt, die Kreditagenturen haben die Anfragen dann an amerikanische Banken weitervermittelt und Provision kassiert. Vom Hamburgerbräter bis zur Putzfrau bekam jeder ein Angebot. Der „Hype“ wurde nach Kräften angeheizt.


Bereits im Jahre 2004 wurde ein Crash am US-Immobilienmarkt von vielen Experten vorausgesagt. Der damalige Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, verteidigte jedoch die verhängnisvolle Niedrigzinspolitik der Federal Reserve mit dem lockeren Spruch, dass zu jedem Wirtschaftsaufschwung auch einmal die eine oder andere Blase gehöre. Das Anheizen eines künstlichen Wirtschafts-Booms über künstlich niedrig gehaltene Zinsen ist ein gewaltiger, folgenschwerer Eingriff, der selbst den vorher erklärten ganz zentralen Lehrsätzen des Monetarismus diametral entgegenläuft. Die Monetaristen hatten ein Stück weit Recht, wenn sie vor einem solchen künstlichen Anheizen der Konjunktur über Niedrigzinsen immer gewarnt hatten. Die desaströsen Folgen dürfen wir jetzt alle tragen. Denn die Folgen sind nicht auf den Hauptverursacher beschränkt. Das Ergebnis kennen wir alle.


Das Scheitern des neoliberalen Modells ist so eklatant, dass selbst die eigenen elementaren Grundsätze der dem Neokonservativismus zugrundeliegenden Wirtschaftstheorie inzwischen über Bord geworfen werden - und zwar gerade von denselben Politikern, die sich selbst als in der schönsten Tradition von Ronald Reagan und anderen stehend darstellen. Man heizt Blasen über Niedrigzinsen an, man kauft mit frisch gedrucktem Geld die eigenen Staatsanleihen auf, nur damit das Spitzenrating nicht in den Keller geht. Man fördert mit viel Geld und propagandistischem Einsatz eine ultrakonservative „Tea-Party“-Bewegung, damit auf keinen Fall die in 30-jähriger Arbeit aufgebauten destruktiven Errungenschaften des Finanzkapitals angetastet werden, und damit die US-Regierung auch nur ja nicht erst auf die Idee kommt, das Thema „Steuererhöhungen“ auch nur anzuschneiden. Man wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Rücknahme auch nur von Teilen der Liberalisierung des Finanzwesens.


Diese restaurativen Rückzugsgefechte werden nicht zum Ziel führen, sondern allenfalls den Aufschlag auf den Boden der nackten Tatsachen nur noch härter machen. Eine Währungsreform des Dollars könnte früher oder später die Folge sein. Die Frage ist nur, ob dabei die Abwertung 1:2 oder 1:5 betragen wird. Möglicherweise schaffen es die Neokonservativen auch noch, die Sache einige Jahrzehnte weiter auszusitzen. Dann wird die Abwertung eben 1:10 oder noch mehr betragen. Jeder Dampfkessel platzt irgendwann, wenn man den Druck erhöht, und wenn man sich weigert, vorher in kleinen Schritten den Druck abzulassen. Wenn man das nicht tut und nur den Druck noch weiter erhöht, platzt der Kessel eben umso heftiger.

Milton Friedman, Haupttreiber des Neoliberalismus, ist 2006 gestorben - also wohl aus Gnade heraus gerade rechtzeitig vor der schweren Finanzkrise von 2008 und den folgenden Jahren. Bis zuletzt war er von seinen Theorien absolut überzeugt. Ein etwaiges Scheitern läge allenthalben daran, dass seine Rezepte nicht weitgehend genug umgesetzt worden seien. Dies warf er sowohl Ronald Reagan als auch Margaret Thatcher vor - wenngleich er wiederum in einem Interview mit der "WELT" 11 Monate vor seinem Tod den Europäern, besonders den Deutschen, empfahl, dem "Beispiel Ronald Reagans und Margaret Thatchers nachzueifern".


Das zweite „Mutterland“ des Neoliberalismus ist Großbritannien.

Großbritannien wurde in den 1970-er Jahren von einer Episode des heftigen wirtschaftlichen Niedergangs und von Krisen durchgeschüttelt. Man stand 1976/77 unmittelbar vor dem drohenden Staatsbankrott, der nur durch erhebliche Hilfezusagen des IWF abgewendet werden konnte. Man kann sich die Demütigung gegen das Nationalgefühl der Briten leicht vorstellen: Großbritannien, einst führendes Land eines globalen "Empire" und führende Wirtschaftsmacht der Welt, jetzt ein kleinlauter Bittsteller.


Die britischen Gewerkschaften waren während der Zeit der 1970-er Jahre sehr einflussreich. Es gab viele kleinere Einzelgewerkschaften, daher haben die vielen Streiks der kleinen Gewerkschaften, immer an taktisch besonders sensiblen Punkten ausgeführt, eine lähmende Wirkung auf Wirtschaft und Infrastruktur gehabt.

Wenn z.B. bei British Railways einmal gerade nicht die Gewerkschaft der Lokführer gestreikt hat, dann hatte eben die Gewerkschaft der Stellwerker gestreikt, und dann fuhren die Züge auch wieder nicht.

Wesentlich verantwortlich für den Niedergang der britischen Industrie war jedoch auch ein Investitions- und Entwicklungsrückstand gegenüber dem Ausland.

Britische Waren hatten zu der Zeit oft den Ruf einer schludrigen Fertigungsqualität. Die britische Autoindustrie, lange Zeit führend in der Welt, war im Niedergang, der auch durch die Verstaatlichung nach der Pleite des „British Leyland“-Konzerns nicht mehr aufzuhalten war. Dem Management bei British Leyland wurde „Inkompetenz, Lethargie oder schiere Gleichgültigkeit“ bescheinigt (nach Sir Michael Edwardes, dem Sanierer). Aus dieser Zeit ist u.a. die Geschichte kolportiert, dass der Besitzer eines britischen Neufahrzeugs wegen merkwürdiger Klappergeräusche einmal die innere Türverkleidung abgeschraubt und dort in der Blechverkleidung eine halbvolle englische Bierflasche entdeckt hat. Das lässt den Schluss zu, dass Alkoholkonsum am Arbeitsplatz während dieser Zeit in England gang und gebe war. In deutschen Automobilfirmen wohl allein schon aus Gründen des Arbeitsschutzes absolut undenkbar. Das ist vielleicht eine Einzelepisode, aber man könnte das als symptomatisch für den Zustand der britischen Wirtschaft, vielleicht sogar der Gesellschaft betrachten, und tatsächlich haben die Briten selbst das größtenteils auch so empfunden. 

Befeuert wurde dieser Niedergang durch die schwere Währungskrise infolge der Aufgabe des Bretton-Woods-Systems sowie durch die Ölkrise.

Ausschlaggebend für den Stimmungsumschwung war die Tatsache, dass Großbritannien während der Krise 1976/77 wie ein bittstellendes, erbärmliches Drittweltland Hilfen des IWF beantragen musste, und der Streikwinter („Winter Of Discontent“) 1978/79, wo selbst die Totengräber streikten und wochenlang die Toten nicht beerdigt werden konnten und sich die Müllberge in den öffentlichen Parks anhäuften, weil der Müll nicht mehr abgeholt wurde.

Die Konservative Margaret Thatcher, die in ihrem Wahlprogramm für Großbritannien eine „Rundum-Schwitzkur“ versprach, wurde 1979 nach dem Rücktritt Callaghans und vorzeitigen Neuwahlen zur Premierministerin gewählt. Auch sie war geprägt von restaurativen Ideen eines aufstrebenden Neokonservativismus und Wirtschaftsliberalismus.

In Großbritannien gab es in der Folge eine groß angelegte Welle an Privatisierungen. Der Staat zog sich zunehmend aus dem öffentlichen Sektor zurück.

Margaret Thatcher hat einen jahrelang anhaltenden Streik der Bergwerkarbeiter in Wales ausgesessen. Unter ihrem Einfluss kam es zu einer deutlichen Schwächung der Gewerkschaften.

Während der ersten Regierungsjahre unter Thatcher nahm die Arbeitslosigkeit zu, das war jedoch von den Konservativen selbst als „Teil des Plans“ vorher schon prognostiziert worden. Der Gewinn an Arbeitsplätzen sollte sich dann erst später einstellen. Was auch teilweise der Fall war, allerdings lange nicht im prognostizierten und erhoffen Umfang.


Durch die monetaristische Hochzinspolitik ergaben sich eine Aufwertung des britischen Pfunds und damit - genau wie in den USA unter Reagan - Wettbewerbsnachteile mit einem dadurch verbundenen Exportrückgang. Das hat sicherlich die Sanierungspläne bei British Leyland endgültig konterkariert, der Konzern wurde zerschlagen und in Teilen reprivatisiert. Arbeitsplätze in der Autoindustrie, aber auch in anderen Industriezweigen wurden im großen Umfang abgebaut.


Während der gesamten Regierungszeit Thatchers war die Arbeitslosigkeit in England höher als zur Zeit der Vorgängerregierungen.


Während der 80-er Jahre begann Großbritannien verstärkt damit, Öl und Erdgas in der Nordsee zu fördern. Neben Norwegen ist Großbritannien daher zur Zeit der zweitwichtigste Hauptproduzent für Öl und Gas in Westeuropa. Wahrscheinlich waren es diese Einnahmen aus den Energieexporten, die England bisher den Hals gerettet haben. Jedenfalls ist die Arbeitslosigkeit in England erst seit Mitte der 1990-er Jahre deutlich zurückgegangen. Auch, wenn Thatchers Anhänger diese Tatsache als positive Spätwirkung interpretieren, so ist es wenig wahrscheinlich, dass der britische Boom ohne die Einnahmen aus den Öl- und Gasvorkommen und den dadurch hohen Deviseneinnahmen so stattgefunden hätte.


Margaret Thatcher stürzte 1990 wegen ihrer penetrant bockigen Weigerung, auch nur im mindesten mit der EU zu kooperieren. Ihre Blockadepolitik wurde selbst bei den Konservativen zunehmend unpopulär, weil negative Auswirkungen auf die britische Wirtschaft befürchtet wurden. Endgültig den Ausschlag für ihr Scheitern gab jedoch ausgerechnet eine von ihr geplante kommunale Sondersteuer, die sogenannte "poll tax". Immer wieder ist es in neoliberal geprägten Systemen zu beobachten, dass gerade die kommunale Infrastruktur in Städten und Gemeinden unter den sinkenden Steuereinnahmen (wegen der neoliberalen Reformen) besonders stark zu leiden hat. Das trifft sowohl für Amerika als auch für England zu. Etliche britische Gemeinden waren gegen Ende der 80-er Jahre in großen Geldnöten und konnten auch ihre reduzierten Aufgaben nicht mehr hinreichend erfüllen. Die von den Kommunen zu erhebende pauschale Pro-Kopf-Sondersteuer ("community charge", eigentlich ein Antagonismus zur neokonservativen Niedrigsteuerpolitik) erregte den erheblichen Unmut der britischen Bevölkerung, es gab massenhafte Demonstrationen und Proteste. Thatcher verlor auf dem Parteitag der Konservativen die Unterstützung und trat zurück. Man könnte es als Treppenwitz der Geschichte bezeichnen, dass ausgerechnet die strikteste Gegnerin jeder neuen Steuer eben wegen einer neuen Steuer gescheitert ist. Nach ihrem glücklosen Nachfolger John Major, der die "community charge" im übrigen bald wieder abschaffte, wurde der charismatische, dynamische Labour-Vorsitzende Tony Blair zum Premierminister gewählt. Auch die Labour-Regierung war jedoch stark von neoliberalen Ideen geprägt. Trotz deutlicher neuer Akzente gab es keine wesentliche Änderung der unter Thatcher eingeleiteten Sozial- und Wirtschaftspolitik. Allerdings hat die Labour-Regierung umfangreiche staatliche Investitionsprogramme gestartet. Beispielsweise wurde mit großen Investitionen das während der Thatcher-Zeit heruntergekommene staatliche Gesundheitswesen („NHS“, National Health Service) modernisiert. Diese staatlichen Investitionsprogramme, ermöglicht durch die Einnahmen aus den Gasvorkommen, waren der eigentliche Motor des britischen Wirtschaftsaufschwungs der späten 90-er Jahre.


Dass die Privatisierung des Eisenbahnwesens nicht zwangsläufig zu einer verbesserten Qualität, Sicherheit und Pünktlichkeit führt, sehen wir am britischen Beispiel. Die Privatisierung des Schienennetzes wurde dort auch bereits wieder rückgängig gemacht, weil Investitionen in Infrastruktur und Sicherheit seitens des privaten Betreibers nicht gewährleistet waren. Bahnfahren ist in England unvergleichlich teuer, aber auch langsam und teilweise sehr ungemütlich. Wenn man es halbwegs komfortabel und schnell haben will, zahlt man horrende Preise, etwa für den Flughafentransfer zu den Londoner Flughäfen Heathrow und Gatwick.


Jeder, der in Deutschland lauthals die Privatisierung und den Börsengang der Deutschen Bahn fordert, sollte sich vorher einmal unvoreingenommen das britische Bahnsystem anschauen und die bahnfahrenden Engländer einmal nach ihrer Meinung zu ihrer Eisenbahn befragen. Die Tatsache, dass die Eisenbahn in England erfunden wurde, scheint heute teilweise nicht mehr spürbar zu sein. 

https://www.youtube.com/watch?v=Ab1pOtybwEY

Spätestens seit der Covid19-Pandemie mit daraus resultierenden sinkenden Fahrgastzahlen gilt die Ära der Privatisierung der britischen Bahnen eigentlich als gescheitert.

https://www.youtube.com/watch?v=DlTq8DbRs4k


Die französische Bahngesellschaft SNCF ist nach wie vor nicht privatisiert, sondern in staatlicher Hand. Frankreich hat jedoch nach Meinung vieler Zeitgenossen fast sogar das bessere Bahnsystem als Deutschland, die Preise für das Bahnfahren sind vergleichsweise moderat. Im Spitzenjahr 2007 hatte die SNCF einen Gewinn von 1,11 Mrd. € erwirtschaftet, allerdings auch während der Finanzkrise durch den Einbruch im Güterverkehr Verluste eingefahren.


Es ist also kein zwangsläufiges Naturgesetz, dass staatlich finanzierte Betriebe immer wirtschaftlich schlecht arbeiten. Solange sie sich der üblichen Konkurrenz stellen müssen und nach den üblichen ökonomischen Maßstäben als Eigenbetriebe organisiert sind, können sie genauso erfolgreich sein wie rein private Unternehmen.

Hinzu kommt jedoch ein gewaltiger politischer Vorteil. Ein Konzern, dessen Aktien zu wesentlichen Anteilen im staatlichen Besitz sind, wird mit wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit zum Spielball feindlicher Übernahmen und dubioser Finanzjongleure. Hier hat in diesen Fällen die Politik ein gewichtiges Wort mitzureden. Es kann zwar Nachteile haben, wenn sich Politiker in die Wirtschaft einmischen – das hat man am Beispiel des Desasters der deutschen Landesbanken gesehen. Jedoch haben auch private Manager in Deutschland weiß Gott schon große Katastrophen angerichtet. Leider müssen sie nicht mit ihren Privatvermögen für die Folgen haften.


Ein breit angelegter Rückzug aus dem staatlichen Sektor hat in Deutschland und Frankreich nicht in dem Umfang stattgefunden wie in den USA oder England, und prinzipiell zeigen die Erfahrungen eigentlich spätestens jetzt, dass dies nicht unbedingt nur zum Schlechten ist.


Dagegen hat in Deutschland die Privatisierung der Stromnetze dem Verbraucher mehr Nachteile als Vorteile gebracht. Angeblich soll seither die Konkurrenz der Stromanbieter das Geschäft beleben – aber die Großanbieter scheinen den deutschen Markt kartellähnlich regional unter sich aufgeteilt zu haben. Dass die Preistreibereien am Strommarkt überzogen sind und nicht mehr die realen Verhältnisse der Energiepreisentwicklung widerspiegeln, ist dem Verbraucher bekannt. Allerdings hat die Politik hier allzu bereitwillig das Heft aus der Hand gegeben. Es ist nicht ersichtlich, in welcher Form der deutsche Stromverbraucher davon profitiert haben sollte.


Seit den 90-er Jahren hat die Globalisierung verstärkte Auswirkungen auf den Arbeitssektor, besonders im Bereich der niedrigqualifizierten Berufe. Hier ist naturgemäß die Konkurrenz aus dem billigproduzierenden Ausland sehr groß. Dies hat in Deutschland zu Diskussionen rund um einen Abbau sozialstaatlicher Leistungen geführt, um die Konkurrenzfähigkeit des „Wirtschaftsstandorts“ im internationalen Vergleich zu sichern.


In Deutschland hat die rot-grüne Regierung Anfang des Jahrtausends die umfangreiche „Agenda 2010“ umgesetzt. Darin enthalten waren umfangreiche Steuersenkungen besonders für Besserverdienende sowie eine Reform des Systems der Arbeitslosenversicherung.

Begründet wurden die Sozialreformen mit einer breit angelegten Standortdebatte und daraus resultierend mit den Bedrohungen durch Billiglohnländer.


Genau wie in den USA in der Zeit der Reagonomics sowie während der Bush-Administration ist jedoch die prognostizierte beschäftigungspolitische Wirkung aus den Steuergeschenken an Besserverdienende sowie an Großunternehmen weitgehend ausgeblieben.


Die harten Einschnitte in Form der Hartz-IV-Reformen wären gegenüber den Bürgern noch zu vertreten gewesen, wenn man auf die im Endeffekt ohne wesentlichen beschäftigungspolitischen Nutzen bleibenden Steuergeschenke an Besserverdienende verzichtet hätte.


Während der Zeit der Adenauer-Regierungen über die sozialliberale Ära der 1970-er Jahre bis hin zur frühen Zeit der Kohl-Regierung war der sogenannte „rheinische Kapitalismus“ und die konstant beibehaltene soziale Marktwirtschaft stets um Ausgleich und soziale Gerechtigkeit bemüht gewesen. Die teilweise Aufgabe der sozialen Gerechtigkeit, indem man einerseits die Agenda 2010 und andererseits massive Steuergeschenke zugunsten der Superreichen durchgesetzt hatte, war eine Abkehr vom seit Kriegsende bestehenden stillschweigenden rheinischen Sozialpakt zugunsten neoliberaler Positionen, und zwar ausgerechnet durch eine rot-grüne Regierung.


Zusätzlich hat die rot-grüne Regierung die bereits unter Kohl begonnene Politik der Liberalisierung des Kapitalverkehrs weitergeführt.


Die Freigabe des Kapitalverkehrs war in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte eine Grundvoraussetzung zur Verwirklichung neokonservativer Ideen und andererseits mitverantwortlich für etliche Wirtschaftskrisen, von der chilenischen Krise der frühen 80-er Jahre über die Asienkrise 1998 bis hin zur schweren Finanzkrise 2008/2009.


Erst durch die globalisierte Freigabe der Finanzströme erhielt der Neoliberalismus ein wichtiges Druckmittel, ohne das er nicht durchsetzbar gewesen wäre. Da jetzt das Kapital frei beweglich ist, kann es sich die Nationen aussuchen, die am besten zu den gewünschten Rahmenbedingungen passen. Nationale Regierungen werden damit erpressbar, ihre Handlungsfreiheit wird eingeschränkt.

Das Zaubermittel heißt: Outsourcing. Mehr dazu in Teil 4.

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