(c) Andreas Klisch, Germany, 2021

 

Blog zum Neoliberalismus

 

Teil 6: Politische Folgen der neoliberalen Experimente, Auswege



Die Globalisierung fördert Sozialdumping. Diesem Effekt könnte nur durch internationale Zusammenarbeit in bilateralen Absprachen entgegengewirkt werden.


Es müsste eine weltweite Diskussion in Bezug auf einen sogenannten „Fair Value“ in Gang kommen, das heißt, über einen adäquaten Gegenwert für Waren und Dienstleistungen. Was derzeit jedoch politisch nicht durchsetzbar ist.


Es ist ein schwerwiegender Fehler, das Problem des Sozialdumpings nicht zur Kenntnis zu nehmen und demzufolge in internationalen Verhandlungen niemals zu thematisieren.

Aber die Probleme wegen der erheblichen Verwerfungen angesichts des Verlusts an Kaufkraft und des Sozialdumpings sind ja bereits sichtbar. Man muss die Zeit abwarten, die es noch braucht, bis der Neoliberalismus an sich selbst scheitert.


Der Trend wird ohnehin zu mehr Protektionismus gehen. Um trotzdem internationale Handelskriege zu vermeiden, werden vermehrt bilaterale Handelsabkommen geschlossen werden müssen.


Wenn sich ein Land wie China bereits Sorgen um die Überhitzung der Konjunktur macht, wäre das beste Gegenmittel eigentlich das maßvolle, schrittweise Anheben der dort erhobenen Unternehmenssteuern, mit denen China zudem seine Infrastruktur aufbauen könnte. Die politische Handlungsfreiheit dazu hat China, und in diese Richtung könnte es auch gehen.


Zu fordern sind:

Maßvolle Schutzzölle gegen Importe aus Ländern, in denen keine bzw. geringe Steuern sowie lediglich Hungerlöhne gezahlt werden.


Die Schutzzölle der EU gegen chinesische Billig-Schuhimporte sind ein folgerichtiger Schritt. China gehört zu den Ländern mit hohem Anteil an internationaler Industriespionage und Patentverletzungen, und sie überschwemmen die Welt mit Dumpingpreis-Produkten, während sie selbst ihre eigenen Märkte massivst protegieren.

Die Chinesen verlangen selbst Schutzzölle von 27% gegen Schuhimporte aus Ländern mit noch geringeren Lohnkosten. Folgerichtig dürfen die Chinesen sich nicht wundern, wenn die EU ebenfalls versucht, die Reste der noch vorhandenen Schuhproduktion mit Schutzzöllen zu retten.

Natürlich braucht Deutschland den chinesischen Markt. Genauso sind aber die Chinesen auf uns angewiesen, nicht nur auf den Absatzmarkt, sondern auch auf unser technisches Know-how, ohne das dort zur Zeit immer noch manches nicht funktionieren würde.


Einer der vielen Vorteile der EU ist, dass man als geschlossene Gruppe auftreten kann, womit verhindert wird, dass Länder gegeneinander ausgespielt werden.

Deutschland allein wäre in internationalen Verhandlungen ein „Chickenboner“. Die EU mit ihrer bedeutenden Gesamt-Wirtschaftsleistung ist jedoch ein global player.

Die US-Amerikaner stecken sowieso bereits in der Zwangsjacke, in die sich die EU nicht auch noch begeben sollte.


Deutschland hat also durchaus wirtschaftliche Stärken, die man auch gezielt unter Einbeziehung des vollen Handlungsspielraums ausnutzen sollte. Genauso, wie es alle anderen ebenfalls tun.

Wir werden es nicht erleben, dass etwa ein Chinese aus Gutmütigkeit und Idealismus in irgendeiner Form von seinen Interessen zurücksteckt.


Damit einhergehend ist die Verabschiedung vom vielgepriesenen Ideal des „freien Welthandels“ angezeigt. Dieser Begriff ist Fiktion. Unsinn.


Den freien Welthandel gibt es de facto nicht, und es wird ihn nie geben.

Gerade die US-amerikanischen Erfinder dieses Schlagwortes fordern z.B. den Verzicht auf Subventionen und Zölle vehement von anderen, während sie selbst ihre eigenen Flugzeughersteller, Softwarekonzerne und Stahlfabriken massiv subventionieren.

Sie nennen das nur nicht „Subvention“, sondern sie bauen eine staatliche Agentur für Außenhandel auf, die nichts anderes tut, als Steuernachlässe für Exporte aus den USA zu gewähren, wenn die Exporte über dieses Washingtoner Büro abgewickelt werden. Beispielsweise erhält auf diese Weise der bestimmt sehr notleidende Softwareriese Microsoft jedes Jahr immense Steuergeschenke, weil der Export der millionenfach verkauften Software über dieses Büro läuft.


Warum macht Brüssel nicht dasselbe?


Die Japaner haben jahrelang über das eigene Handelsministerium („MITI“) die eigene Elektronikindustrie subventioniert und behindern Importe von Konkurrenten durch massive Schutzzölle, während sie von den Staaten, in die sie ihre Waren exportieren, immer schon vehement den Abbau von Handelsbeschränkungen gefordert haben. Immer noch erhebt Japan Zölle für Importe von Fahrzeugen aus der EU.


China verlangt von ausländischen Importeuren, dass nach China importierte Waren zu 50% dort hergestellt werden müssen. Es handelt sich also um eine massive Protektion des inländischen chinesischen Arbeitsmarktes, seien die Arbeitskräfte dort auch noch so billig. Und natürlich dient diese Bestimmung dem Technologietransfer.


Russland riegelt seine Finanzmärkte gegen Auslandsinvestoren ab – die Zeit der Jelzin-Ära hat im übrigen sattsam gezeigt, was passieren kann, wenn die Russen es nicht tun. Russland verlangt aber von der EU die Öffnung der einheimischen Energiemärkte und High-Tech-Konzerne für russisches Kapital.


Die EU riegelt ihren Binnenmarkt gegen den Import landwirtschaftlicher Produkte ab und subventioniert ihre Flugzeugindustrie.


Ein jeder versucht, seine ureigenen Interessen durchzusetzen. In gewisser Weise liegt das auch in der Natur der Sache. Daher kommt man mit vorauseilender Gutwilligkeit in der internationalen Handelspolitik nicht weit.


Die Gefahr dieses bilateralen Protektionismus liegt hier freilich in einem einseitigen Interessenausgleich, bei dem wiederum der starke „global player“ seine Interessen gegenüber den schwächeren Verhandlungspartnern durchsetzt. Dies kann auf Dauer nicht im Interesse der Forderung nach wirtschaftlicher Chancengleichheit liegen. Daher muss eine Diskussion um die Entwicklung übernationaler, nicht nur bilateraler Abkommen in Gang kommen. Auch, wenn es bis dahin ein weiter Weg ist.


Der freie Welthandel ist jedoch in der jetzt vertretenen Form eine Fiktion des globalen Großkapitals. Er soll unilateral geltende Bedingungen schaffen, die zur Profitmaximierung geeignet sind. Um nichts anderes geht es dabei.


Der freie Welthandel bereitet die Bühne für ungebremstes Preisdumping, mit dem dann Konkurrenz vernichtet und der Profit maximiert wird.


Bezeichnend ist, dass diejenigen Länder, die das Ideal des freien Welthandels sich in ihrem eigenen Sinn zurechtgebogen haben, unterm Strich eine gute wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht haben: Japan, später auch Korea, jetzt China.

In den asiatischen Ländern hält man nichts von einer buchstabengetreuen Umsetzung der freien Handelsdoktrin. Man verhindert beispielsweise, so gut es geht, das hemmungslose Aufkaufen der eigenen Finanzwelt und Industrie durch ausländisches Großkapital. Man verhängt rücksichtslos Schutzzölle, um die eigene Industrie zu schützen, verlangt dagegen aber von seinen Handelspartnern die Abschaffung von Handelshemmnissen.

Und man fährt dabei mit der asiatischen Cleverness eigentlich bisher gar nicht schlecht. Weil man es eben versteht, die eigenen Stärken und Vorteile bis an die Grenzen auszuspielen, dagegen Einflüsse und Eingriffe von außen abzublocken, so gut es geht. Auch in der Folge der Asien-Krise 1998 ist China damit gut gefahren, sich eben genau nicht an die Empfehlungen des IWF zu halten.

Eine der Ausnahmen im asiatischen Raum stellt Indonesien dar. Dort hat es das Konglomerat von Suharto-Clan, IWF und ausländischem Finanzkapital geschafft, das Land im Zuge der Asien-Krise in einen Bankrott zu treiben, von dem sich Indonesien auch Jahre später noch nicht ganz erholt hat.


Betrachtet man dagegen die Länder in Mittel- und Südamerika (mit Ausnahme Brasiliens), erst recht Afrika, die unter der ganz direkten Einflusssphäre der USA und der von ihnen dominierten Weltbank stehen, muss man feststellen, dass in kaum einem dieser Länder eine selbständige Entwicklung von Wissenschaft und Technik in Gang gekommen ist, allgemeiner Wohlstand geschaffen wurde oder dauerhafte soziale und politische Stabilität herrschen.


Das kann nicht nur etwas mit den desolaten und korrupten politischen und kulturellen Verhältnissen dort zu tun haben. Diese zugegebenermaßen starken Einflüsse allein erklären das nicht. Auch, wenn besonders in Afrika wichtige interne Faktoren dies mitbegründen.


Es ist erstaunlich, wie gut Weltbank und IWF immer schon mit allen erdenklichen Diktaturen der Welt zusammengearbeitet haben.


Den herrschenden Kasten diktatorisch regierter Länder ist es völlig gleich, ob sie ihr Land sehenden Auges dem internationalen Finanzkapital ausliefern.

Wenn sie mit ihrer katastrophalen Politik ihr Land in den Ruin getrieben haben, helfen gerne die Weltbank und der IWF aus der Patsche. Zu Bedingungen, die zwar das Land dann in eine Schuldenspirale und vollends in die Abhängigkeit treiben.

Was den Diktatoren aber egal ist, wenn es ihnen nur ermöglicht, ihr Regime weiterzuführen.

Gegen den aufrührerischen Pöbel behilft man sich mit ein paar Wasserwerfern, Tränengas, wenn es sein muss, auch mit härteren Mitteln.

Das war bei Marcos auf den Philippinen schon so, bei Suharto in Indonesien nicht anders.

Jahrzehntelang konnten Weltbank und IWF unter Führung der USA in solchen Ländern eine Symbiose aus oligarchischer Diktatur und internationalem Finanzkapital aufrechterhalten. Es kommt schon nicht ganz von ungefähr, dass sich ein Friedman in chilenischer Atmosphäre unter Pinochet so besonders wohlgefühlt hat.

Der Neoliberalismus hat einen immanent totalitären Charakter und kommt daher mit Diktaturen prächtig zurecht, mit Demokratien auch, wenn es unbedingt sein muss. Aber nur, solange sich diese den hemmungslosen Gesetzen des allein seeligmachenden Marktes unterwerfen.

Ein Staat, der so mächtig ist wie China, darf sich dem auch widersetzen und sogar einen Staatsmonopolkapitalismus weiterbetreiben.

Aber wehe, er hat keine geopolitische oder wirtschaftliche Macht, jedoch das Pech, etwa auch noch über Rohstoffreichtum zu verfügen. Dann wird er zertreten wie eine Wanze, wenn er sich nicht fügt und plündern lässt bis zum letzten Erzbrocken.


Darum fügen viele Regierende solcher Länder sich in das augenscheinlich sowieso unvermeidliche und profitieren selbst kräftig mit.

Für das eigene Wohlergehen lassen sie es sehenden Auges zu, wie das eigene Land von ausländischen Konzernen ausgeplündert wird.

Afrikanische Regenten sind dabei, und das müssen sie sich allerdings vorhalten lassen, oft besonders hemmungslos und rücksichtslos, wenn es darum geht, egoistische, repressive Machtpositionen auf Kosten ihrer eigenen leidenden Bevölkerung zu halten. Die allermeisten afrikanischen Staaten sind durch und durch korrupt. Jemand, der dort regiert, versorgt in erster Linie erst einmal sich selbst und seinen Familienclan mit allem vermeintlich nötigen.

Wer dort auch nur die kleinste Macht- und Einflussposition erlangt hat, und sei es nur als ein kleiner Polizeibeamter, nutzt sie sofort gnadenlos aus und erpresst damit alle, die ihm in der Rangordnung unterstehen. Ein nigerianischer Polizeibeamter ist z.B. oft weniger damit beschäftigt, die Sicherheit aufrechtzuerhalten. Vielmehr steht er, bewaffnet mit einer Kalaschnikow, mit seinen Kumpanen am Straßenrand, betreibt dort eine illegale Straßensperre und treibt Passiergelder ein. Was auch z.T. seine einzige Einnahmequelle ist, da das für ihn bestimmte Gehalt ebenfalls vorher schon in anderen Kanälen versickert ist.

In einem solchen Klima ist an sich schon jede positive wirtschaftliche Entwicklung aussichtslos. Da braucht es eigentlich noch nicht einmal mehr die Hilfe des IWF, um ein solches Land in den Keller zu treiben. Das haben korrupte Regierungen wie die des erdölreichen Nigeria trotz 60 % dem Staat verbleibender Gewinne aus den Ölexporten auch so schon fertiggebracht. Geldeinnahmen, die eigentlich eine sinnvolle Fiskalpolitik zur Entwicklung des Landes hätten ermöglichen müssen.

Unbegreiflich ist die Tatsache, dass ein ölexportierendes Land wie Nigeria einen blühenden inländischen Schwarzmarkt für Benzin hat. Obwohl Benzin durch den Staat subventioniert wird und mengenmäßig ausreichend zur Verfügung stehen müsste, ist es an den offiziellen Tankstellen fast nie vorhanden, da es vorher in geheimnisvollen Kanälen versickert. Direkt vor der Tankstelle steht dann der Schwarzhändler, der das Benzin zum fünffachen Preis verkauft, teilweise auch noch mit Wasser gestreckt.

Allein in den 80-er und 90-er Jahren sind über 200 Milliarden Dollar an Öleinnahmen durch die jeweiligen Regierungen unterschlagen worden, wobei sich weder Babangida noch Abacha in diesem Punkt irgendeine Zurückhaltung auferlegt haben.

Nigeria ist laut einer UN-Statistik trotz seines Ölreichtums das zweitärmste Land der Welt. Erst seit dem Ende der Abacha-Diktatur 1998 gibt es immerhin einige Besserungstendenzen.


Ehrlich gemeinte Entwicklungsprogramme für die afrikanische Region sollten primär Korruption zu bekämpfen helfen, Bildung fördern, humanitäre Hilfe leisten.

Der Aufbau eines funktionierenden Gemeinwesens ist Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung.


Der oft geäußerte Vorwurf, der westliche „Imperialismus“ habe die Alleinschuld an der Misere der Entwicklungsländer, greift zu kurz.

Entscheidend ist der Konflikt zwischen westlicher Lebensweise und alten, feudal-agrarisch geprägten lokalen Strukturen, die im Zusammenwirken mit dem internationalen Finanzkapital die dort herrschenden Kasten zu rücksichtslosen Ausbeutern ihres eigenen Landes werden lassen.


Viel Zündstoff steckt jedoch auch in mittelamerikanischen Ländern wie Nicaragua. Dort sind die Sandinisten wieder an die Regierung gekommen.

Auch, wenn der Bürgerkrieg und die frühere Politik der Sandinisten kontrovers betrachtet wird, darf eins nicht vergessen werden: es waren die USA, die jahrzehntelang das Somoza-Regime gedeckt hatten. Roosevelt soll gesagt haben: „Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn.“

Somoza war derart brutal und skrupellos, dass es zum Schluss selbst den USA zu viel wurde. Washington legte Somoza den Rücktritt nahe, der verschwand ins schöne Miami, nicht ohne jedoch noch schnell die Staatskasse mitzunehmen.

Das war der Startpunkt für einen der schlimmsten Bürgerkriege der Weltgeschichte, und Auslöser war der unsägliche Support des Somoza-Regimes durch die USA.


Nicaragua ist heute trotz eines umfangreichen Schuldenerlasses hoffnungslos bankrott. Nicht zuletzt wegen der Auflagen des IWF bestehen keine Spielräume für eine Fiskalpolitik, die der brachliegenden Wirtschaft Impulse geben könnte.

Eine verstärkte regionale Kooperation der südamerikanischen Länder sowie eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China , auch mit der EU, zeichnen sich  ab. Dann wäre es auch abzusehen, dass die bisher dominierenden Organisationen Weltbank und IWF an Bedeutung und Einfluss verlieren.


Die Weltbank hat in der Vergangenheit Schwellenländer im Gängelband der Schuldenspirale gefesselt.

Die hohen Kredite wurden jedoch nicht aus Gutmenschlichkeit gewährt. Dafür wollten die einflussreichen internationalen Kapitalgeber bestimmte Gegenleistungen.

Immer war es z.B. Grundbedingung für die Kreditgewährung, dass Schutzzölle für Importe unilateral (!) entfielen, dass der inländische Kapitalmarkt ohne Kontrollen und Beschränkungen für ausländische Investoren freigegeben wird, dass sich der Staat aus Investitionen weitgehend heraushält.

Dadurch wird die Schuldenspirale weiter angeheizt, das Land an ausländische Investoren ausverkauft, der Binnenmarkt mit ausländischen Waren geflutet, bevor eine einheimische Industrie und Infrastruktur jemals die Chance haben, sich zu entwickeln.


Ein wirtschaftlich mächtiger und reicher werdendes China könnte in Zukunft die Rolle übernehmen, die jetzt Weltbank und IWF zunehmend verlieren. Wenn der Westen es nicht schafft, die Entwicklungsländer zu sanieren (weil er es eigentlich gar nicht will), könnten China, später auch Russland auf den Plan kommen. Zu welchen Bedingungen, das wäre allerdings abzuwarten.


Ein wichtiger Schlüsselpunkt des neoliberalen „freien Handels“, die Öffnung der Inlandsfinanzmärkte für die „Heuschrecken“ in Form ausländischer Großinvestoren, ist ein Aspekt des freien Welthandels, dem sich die Asiaten schon immer teilweise erfolgreich widersetzt haben.

Niemals werden wir es erleben, dass die Chinesen ausländischen Investoren erlauben, den Daumen auf die eigenen Rohstoffe und auf die wichtigsten chinesischen Großbanken zu halten. Wenn sie das einmal zulassen, wird es mit ihrem Aufschwung bald passé sein, und das wissen sie sehr genau.

Der Aufstieg Südkoreas zu einem wichtigen Mitspieler der globalen Wirtschaft war ebenfalls nur möglich, weil sich die Koreaner in der Aufbauphase gegen die totale Freigabe der Kapitalmärkte gewehrt und die eigene Wirtschaft, so weit irgend durchsetzbar, protektionistisch geschützt haben.

Hätte ein Friedman in Seoul das gleiche zu melden gehabt wie in Santiago, hätte ein „koreanisches Wunder“ sicherlich ebenfalls stattgefunden wie das vielzitierte chilenische. Aber nur ein solches nach Friedmans Interpretation. Inklusive Staatsbankrott, Massenarmut, Militärputsch, hemmungsloser Verschuldung. Ein neoliberales Fiasko.


Die Zeichen der Zeit stehen für ein Wiedererstarken des Protektionismus, trotz aller damit verbundenen Risiken. Mit die ersten, die sehr bald schon zu einem strikten System des Protektionismus zurückgekehrt sind, waren die Amerikaner.

Den Chinesen wurden von Washington bereits Strafzölle von 24% als Folge einer Nichtaufwertung ihrer Währung angedroht. Dass sich aber bisher weder eine nennenswerte Aufwertung noch die Strafzölle durchsetzen ließen, spiegelt die politische Abhängigkeit Washingtons von der Finanzpolitik Pekings wieder.

Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die Amerikaner zum Ausgleich gegenüber der EU versuchen, eine deutlich protektionistischere Linie zu fahren, als (noch) gegenüber China. Dieser Trend ist auch anhand der Bilanzergebnisse ganz klar nachzuvollziehen. Während vor einigen Jahren noch die USA der wichtigste Außenhandelspartner Deutschlands waren, ist es jetzt Frankreich, und die Rolle Chinas wächst stark.


Wir sollten uns auch nicht dumm machen lassen. Selbst für den „Exportvizeweltmeister Deutschland“ ist die Quote des Binnenhandels mit EU-Nachbarstaaten auch jetzt noch viel bedeutsamer als der Außenhandel mit Asien und mit den USA.

Deutschland lebt, was die internationale Handelspolitik betrifft, in einer relativ gesicherten Käseglocke der EU, von der aus man viel mehr Handlungsspielraum hat, als in der öffentlichen Debatte zugegeben wird. Der Handlungsspielraum ist weitaus größer als etwa in den USA, wie bereits dargelegt.

Es ist nicht so, dass nur wir etwas von den Chinesen wollen. Sondern die Chinesen wollen bei uns ihren Absatzmarkt vergrößern, und sie wollen technisches know-how. Die Frage, was wir dafür bekommen, darf gestellt werden.


Zur Zeit spielen die Chinesen noch gern die EU-Länder gegen die US-Amerikaner aus. Im Rahmen der wachsenden Probleme der USA, mit zunehmender Dollarschwäche, Außenhandelsdefizit, Verschuldung, wird dafür aber sehr bald schon der Spielraum nicht mehr gegeben sein.

Die Billiglohnländer bilden es sich ein, dass es möglich ist, zuerst unsere Industrie mit Dumpingmethoden totzurüsten und gleichzeitig wachsende Märkte bei uns zu erobern. Wegen der dann zwangsläufig sinkenden Zahlungsbilanzen, verbunden mit steigenden Handelsdefiziten und schwächer werdenden Währungen im Westen wird das jedoch nicht dauerhaft möglich sein.


Es handelt sich um eine einfache und zwangsläufige volkswirtschaftliche Rechnung.

Bei steigendem Außenhandelsdefizit Europas gegenüber Asien würde zwangsläufig der Euro an Wert verlieren, es würde zu Inflation und Verschuldung kommen. Damit sinkt aber die Kaufkraft des europäischen Marktes gegenüber Asien.


Irgendwer muss die Waren kaufen können.

Die US-Amerikaner werden es bald schon nicht mehr können. Die Europäer dann später ebenfalls nicht mehr.

Die Binnennachfrage in den Billiglohnländern wird jedoch ebenfalls den Markt für die wachsende Produktion nicht hergeben, wenn dort die Löhne nicht doch steigen.

Womit aber Europa und die USA wieder konkurrenzfähig würden.


Eigentlich eine glasklare Logik, die aber durch den festen Wechselkurs zwischen chinesischer und amerikanischer Währung und durch den künstlich gestützten Dollar seit Jahrzehnten konterkariert wird. Die Amerikaner haben sich auf diese Falle eingelassen, daher werden sie die ersten Verlierer sein.


So romantisch-verklärt der Wunsch der Bundeskanzlerin nach einer transatlantischen Freihandels-Zone zwischen EU und USA auch ist: dieser Weg ist für die EU bzw. für Deutschland nicht gangbar. Die wirtschaftlichen Interessen der EU und der USA laufen z.T. völlig konträr gegeneinander. Die erheblichen Missstimmungen etwa im Streit um die Flugzeugindustrie, die EU-Subventionen der Landwirtschaft bzw. die US-Subventionen der Stahl- und Autoindustrie zeigen, dass sich ein Handelskrieg bisher immer mit sehr viel Mühe vermeiden ließ, dass beide Wirtschaftsräume jedoch von einer gemeinsamen Freihandelszone weit entfernt sind, im Gegenteil sogar sich zunehmend auseinanderbewegen. Die allergrößten Probleme damit hätten die USA selbst, daher werden sie sich darauf niemals einlassen. Allenfalls zu Bedingungen, die für die EU völlig inakzeptabel wären.

Wenn die USA alle Protektionsbestimmungen gegen die EU aufheben würden, könnten sie gleich morgen bei der Weltbank den Staatsbankrott anmelden.

Die EU ist in einer viel zu starken Position. Der Binnenhandel hat hier eine weit höhere Bedeutung als irgendwo sonst auf der Welt. Der Euro ist noch etwas eher real bewertet, während der Dollar trotz künstlicher Abwertung gegenüber dem Euro immer noch durch riesige international verteilte Devisenreserven gestützt werden muss. Der EU-Außenhandel mit Osteuropa und Asien ist jetzt schon viel wichtiger als der mit den USA.


Ob uns das im einzelnen passt oder nicht: unsere künftigen Wirtschafts- und Handelspartner sind in Osteuropa, Asien und Lateinamerika. Was nicht heißen soll, dass die EU ihre Bemühungen auf eine Verbesserung der Handelsbeziehungen mit den USA einstellen soll.

Man sollte lediglich auf eine weitere Verschlechterung diesbezüglich vorbereitet sein, die im Bereich des möglichen liegt.


Vielfältig wurde in der öffentlichen Diskussion mit einer Gegenüberstellung des guten Wirtschaftswachstums in den USA im Vergleich zu Deutschland argumentiert. Im Zusammenhang mit der täglich geführten, unsäglichen „Standortdebatte“ war hier auch täglich von den im Vergleich zu den USA angeblich zu hohen Steuern und Sozialabgaben die Rede. Seit der schweren Finanzkrise scheint die Kritik am deutschen Steuer- und Sozialsystem jedoch zunehmend zu verstummen. Die gegenwärtig in den USA herrschenden Zustände wünscht sich hier kaum jemand ernsthaft herbei.


Unterschlagen wurden bei der lobenden Darstellung des amerikanischen Wachstums zwei Tatbestände.

Der eine liegt in der Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum in den USA ab der Jahrtausendwende auf Pump bezahlt wurde und schon vorher im wesentlichen von den asiatischen Ländern, aber auch von der EU (über die Dollarabwertung) finanziert wurde, wie bereits oben dargelegt wurde. Spätestens mit dem Crash des US-Immobilienmarktes und der dadurch ausgelösten internationalen Finanzkrise dürfte dies offenkundig sein.


Die amerikanische Ingenieursvereinigung (American Society of Civil Engineers) hat berechnet, dass in den nächsten Jahren Investitionen in der Höhe von 1.600 Milliarden US-Dollar nötig sein werden, um die US-Infrastruktur wieder in Stand zu setzen (Straßen, Häfen, Flughäfen, Wasserleitungen, Staudämme. u.a.). Die Überschwemmung in New Orleans war eine Folge fehlender Investitionen in den Deichbau. Der neoliberale Rückzug aus den Staatsinvestitionen hat die öffentliche Infrastruktur über die letzten drei Jahrzehnte hinweg systematisch verlottern lassen. Auf dem flachen Land müssen manche Kommunen den öffentlichen Schulbustransport einstellen, weil aufgrund der Steuersenkungspolitik und der wirtschaftlichen Rezession das Geld fehlt. Vielen Amerikanern ist heute gar nicht bewusst, wie technologisch rückständig die USA inzwischen im Vergleich zu Europa teilweise geworden sind. Das betrifft den Ausbau der Breitband-Telekommunikationsverbindungen, die Wasserversorgung und Stromversorgung bis hin zum Bankenwesen, wo z.B. weitgehend immer noch Schecks hin und her geschickt werden, um Zahlungen zu tätigen. Es gibt etliche Regionen in den USA, die immer wieder Probleme mit Stromausfällen oder hohen Spannungsschwankungen im Netz haben. Das erfährt man allerdings nicht aus den Massenmedien, sondern in Internetforen, wo ein Amerikaner z.B. berichtet, er habe sich einen neuen Computer kaufen müssen und sei daher ein paar Tage nicht online gewesen, weil die Spannungsschwankungen im Stromnetz ihm das Netzteil des PCs zerschossen hätten. Vor einigen Jahren gab es aufgrund fehlender Investitionen der amerikanischen Stromkonzerne in Ausfallkonzepte einen tagelangen Blackout, weite Teile waren tagelang von der Stromversorgung abgeschnitten. Im kalten Winter Anfang 2021 waren weite Teile von Texas aufgrund eines starken Kälteeinbruchs, für den das Netz nicht hinreichend gesichert war, über eine Woche lang ohne Stromversorgung.

Der staatliche Investitionsrückstand ist in den USA allenthalben überall spürbar.


Der andere Tatbestand liegt in dem Widerspruch, dass ein Land wie Dänemark, das wesentlich höhere Steuerquoten wie Deutschland aufweist, trotzdem einen höheren Anteil der Industrieproduktion am BSP sowie eine niedrigere Arbeitslosenquote und weniger soziale Armut aufweist.


Unter anderem durch eine Studie der Max-Planck-Gesellschaft (Peter Scharpf), die auch Eingang in das Gutachten der Enquete-Kommission des Bundestags fand, wird dieser Zusammenhang festgestellt, jedoch in der öffentlichen Diskussion in den Mainstream-Medien konsequent totgeschwiegen.


Die skandinavischen Länder haben insgesamt höhere Steuerquoten, aber niedrigere Sozialabgaben. Sie finanzieren ihre sehr hohen Sozialleistungen über eine hohe Lohnsteuer und hohe Mehrwertsteuern gegen. Trotz der hohen Steuerquoten ist aber das Pro-Kopf-BIP in allen skandinavischen Ländern höher als in Deutschland. Auch bezüglich der statistischen Armutsquote rangieren die skandinavischen Länder weit besser. Selbst wenn man das reiche Norwegen mit seinen Öl- und Gasvorkommen aus dem Vergleich außen vor lässt, ändert sich nichts an der Situation.


Dänemark weist gegenüber Deutschland eine relativ hohe Staatsquote am BSP auf.

Trotzdem findet ein Verdrängungseffekt im Dienstleistungssektor nicht in dem Umfang statt, wie er eigentlich erwartet werden müsste. In Dänemark hat der Dienstleistungsbereich gegenüber Deutschland sogar noch einen höheren Anteil am BSP und wird damit nur von Großbritannien übertroffen, wo allerdings dieser Sektor durch eine entschiedene neoliberale Politik gefördert wurde.


Ein Beweis dafür, dass eine Fiskalpolitik zur Dämpfung der Arbeitslosigkeit entgegen neoliberaler Thesen nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.


Der Ansatz, die Sozialabgaben zum größten Teil umzufinanzieren und auf Steuern umzulegen, hätte also etwas für sich, auch wenn er derzeit bei uns politisch nicht durchsetzbar zu sein scheint. Der skandinavische Erfolg zeigt aber, dass dies ein gangbarer Weg wäre.


Erforderlich ist eine gewisse Anpassung der Sozialsysteme in einem tragbaren Umfang. Auch in den skandinavischen Ländern hat es Anpassungen geben müssen.

Es kann hier Nachbesserungen geben. Grundsätzlich sollte man es sich aber überlegen, die radikale Axt an ein Sozialsystem zu legen, das uns 70 Jahre politische Stabilität gebracht hat, und um das uns viele Menschen auch im Land der unbegrenzten Härten brennend beneiden.


Gerne wird auch zur Argumentationshilfe in der „Standortdebatte“ der Vergleich mit Großbritannien herangezogen.

Dabei wird allerdings die Tatsache unterschlagen, dass dort die Umstrukturierung zu einem Dienstleistungsland (78% Anteil des Dienstleistungssektor am BSP) mit einem hohen Außenhandelsdefizit erkauft wird, von dem nicht zuletzt Deutschland mit seiner hoch entwickelten Industrie profitiert.

Ob dieser Weg für Großbritannien in den 80-er und 90-er Jahren nach dem schweren Niedergang der dortigen Industrie, der so bei uns nicht stattfand, der einzig mögliche war, darüber kann man streiten. Die im Vergleich zu Deutschland dort früher wesentlich mächtigeren Gewerkschaften, die mit generalstreikähnlichen Aktionen das ganze Land lahm legen konnten, wurden während der Thatcher-Ära geschwächt. Man kann argumentieren, dass die britischen Gewerkschaften der 70-er Jahre den Umbau Großbritanniens zu einem Dienstleistungsland radikal verhindert hätten.


Anfang des neuen Jahrtausends bis hin zur Finanzkrise boomte die Wirtschaft in Großbritannien. Die Entwicklung war jedoch nicht nachhaltig. Im Zuge der Finanzkrise hat Großbritannien in hohem Maße Federn lassen müssen. Spekulanten haben mit der britischen Währung Fußball gespielt, in einem Umfang, mit dem das mit der Euro-Gemeinschaftswährung so nicht ganz möglich war. Wahrscheinlich haben Euro-Protagonisten wie Helmut Schmidt Recht, wenn sie sagen, dass es Deutschland im Zuge der Finanzkrise erheblich schlechter gehen würde, wenn noch die D-Mark hier Währung wäre. Gut möglich, dass mit der D-Mark das gleiche passiert wäre wie mit dem britischen Pfund.

Aber die britischen Banken waren am US-Finanzmarkt auch weit stärker engagiert, der Finanzplatz London ist mit den USA ganz eng verflochten. Zwangsläufig wurde das gesamte britische Bankwesen in Mitleidenschaft gezogen, etliche Banken mussten quasi verstaatlicht werden.

Jedenfalls ist England immens verschuldet, vergleichbar mit Griechenland, der Staatsbankrott kann momentan von der neuen konservativen Regierung lediglich durch härteste staatliche Sparpolitik abgewendet werden. Natürlich wird sich diese Sparpolitik lähmend auf die Infrastruktur auswirken, der staatliche Sektor gerät noch mehr ins Hintertreffen, beschäftigungspolitisch mit negativem Effekt, der sich natürlich angesichts des niedrigen Anteils des industriellen Sektors am BSP besonders stark auswirken wird. 

Die Corona-Krise sowie die schweren Verwerfungen durch den "BreXit" haben ebenfalls bittere Folgen. 

Die hohe Dienstleistungslastigkeit der britischen Wirtschaft wird auch mit diversen Nachteilen erkauft, die in der Debatte ebenfalls gern verschwiegen werden. Es scheint so zu sein, dass der Dienstleistungssektor zu einem starken Ungleichgewicht der Einkommen, zu einem Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich neigt.

Dort ist es Trend, Personal zu prekären Löhnen zu rekrutieren. Die oft kolportierten Berichte aus England von Kellnerinnen, die in der Jugendherberge übernachten, weil sie sich keine Wohnung leisten können, kommen nicht von ungefähr.

Die relativ guten britischen Durchschnittseinkommen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen hohen Anteil Unterprivilegierter, Chancenloser gibt, die unterhalb der Armutsgrenze vegetieren („working poor“).

Der soziale Sprengstoff, der dadurch gerade in Armenvierteln wie London-Brixton (für Touristen in manchen Bereichen eine „no-go-area“) entsteht, kann in Phasen eines guten Wirtschaftswachstums neutralisiert werden. Ich möchte jedoch nicht wissen, was dort an Krawallen entstehen könnte, wenn die Weltwirtschaft in eine dauerhafte Talfahrt geraten sollte.

Trotz niedriger Steuern sind Dienstleistungen in Großbritannien nicht gerade billig. Das weiß jeder, der dort einmal ein Restaurant aufgesucht hat. Dort isst man zu höheren Preisen als in Frankreich, allerdings anerkanntermaßen beileibe nicht immer in französischer Qualität.

Auch andere Dienstleistungen einschließlich des öffentlichen Nahverkehrs sind z.T. unverhältnismäßig teuer. Diejenigen, die in Deutschland lauthals die Privatisierung der Bahn fordern, sollten einmal einen Engländer auf das dortige Bahnwesen schimpfen hören. Die Privatisierung musste dort auch bereits teilweise rückgängig gemacht werden, die notwendigen Investitionen in Schienennetz und Sicherheit blieben aus.

Vergessen wird gern der hohe Anteil des geförderten Nordseeöls und Erdgas am britischen BSP, ohne den die Zahlungsbilanz und damit der Lebensstandard Großbritanniens wesentlich schlechter aussähe.


Auch die Pro-Kopf-Verschuldung der Privathaushalte liegt in England doppelt so hoch wie auf dem Kontinent.


Der radikale Umbau in ein Dienstleistungsland schafft also einige Probleme, und man muss sich schon fragen, ob dieser Weg für Deutschland, gerade angesichts der fortbestehenden Probleme mit der Einheit und fehlender Rohstoffquellen als Devisenbringer, gangbar ist.


Demgegenüber erwirtschaften Dänemark und Schweden derzeit Haushaltsüberschüsse, bei hohem Industrialisierungsgrad, der sich trotz hoher Steuern und auch im Zuge der Finanzkrise zumindest bisher als relativ resistent gegenüber Outsourcing erwiesen hat.


Das Verfolgen eines neoliberalen Wirtschaftskurses ist also an sich noch lange keine Garantie für positives Wirtschaftswachstum, und eine erhöhte Staatsquote am BSP muss nicht unbedingt „eine Bedrohung für den Wirtschaftsstandort“ darstellen, wie es uns täglich von Politik und Medien vorgebetet wird.


Ebenso sind sinkende Löhne keine Garantie für die Standortsicherung. In Frankreich war eine Lohnsenkungspolitik nicht in dem Maße durchsetzbar wie in Deutschland. Im Gegenteil entwickeln sich die Löhne dort immer noch nach oben und haben das deutsche Niveau fast überholt. Trotzdem weist Frankreich ein stabiles Wirtschaftswachstum auf, bei höherer Binnennachfrage, abgesehen von trotzdem hohen Problemen mit Arbeitslosigkeit, vergleichbar mit Deutschland.


Die sinkende Binnennachfrage in Deutschland ist auf die herrschende Lohnpolitik zurückzuführen.

Im Gegensatz zu fast allen übrigen europäischen Ländern waren in Deutschland in den letzten Jahren kaum noch Lohnsteigerungen durchsetzbar. Die Privathaushalte können jedoch auf Dauer nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen. Dieser Sachverhalt sollte gegenüber den BDI-Lobbyisten immer wieder mit genau derselben nervenden Penetranz vertreten werden, mit der sie von uns täglich „Lohnverzicht“, „Nullrunden“, „Zurückhaltung“ und Sozialabbau fordern.


Der Monetarismus war sicherlich äußerst erfolgreich in der Bekämpfung der Inflation. Es scheint sich jedoch zu zeigen, dass die EZB unter den herrschenden, schwierigen Rahmenbedingungen mit ihrer flexibleren Politik der „Zinskorridore“ die Lage zumindest momentan im Griff hat.

Die Einführung des Euro war trotz aller Nachteile möglicherweise ein richtiger und notwendiger Schritt, weil erst dadurch Europa sich finanzpolitischen Handlungsspielraum gegen das Dollarmonopol erkämpfen konnte. Die globalen Folgen werden sich erst in den nächsten Jahrzehnten noch zeigen – wenn der Euro es schafft, trotz der erheblichen Bedrohungen zu überleben. Ohne die Gemeinschaftswährung wäre Europa von der Finanzkrise jedenfalls mit Sicherheit wesentlich schlimmer gebeutelt worden.


Auch, wenn das amerikanische Finanzkapital derzeit wiederholt spekulative Angriffe auf den Euro startet und hierbei die schlechte Haushaltslage in Griechenland, Portugal, Irland etc. als Aufhänger benutzt, sollte daher alles getan werden, um die Gemeinschaftswährung beizubehalten. Würden die Spekulanten ähnliche Angriffe gegen den US-Dollar und den amerikanischen, noch viel desolateren Staatshaushalt fahren, dann wäre der US-Dollar heute schon am Ende. Mit noch viel größerem Recht könnten Spekulationen gegen japanische Staatsanleihen erfolgen. Vielleicht sollte die EZB einen Fonds einrichten, der mit Optionen auf den Crash des Dollars und eine US-Währungsreform wettet. Denn die muss irgendwann kommen, dabei kann man gar nicht verlieren. Es ist nur zu offensichtlich, warum die US-amerikanisch dominierten Rating-Agenturen einerseits den amerikanischen Staatsanleihen, die von der eigenen Notenbank mit frisch gedrucktem Geld aufgekauft werden müssen, immer noch ein Spitzen-Rating gewähren, gleichzeitig aber Länder wie Griechenland oder Portugal herunterstufen. Auch daraus ergeben sich Fragen, die in der öffentlichen Diskussion in den Massenmedien merkwürdigerweise nie auftauchen. Das möchte Herr Murdoch, dem ein großer Teil des amerikanischen Zeitungs- und Fernsehmarkts, aber auch die Londoner Times gehört, nicht gern in seinen Zeitungen stehen haben.

Freier Welthandel“ und Globalisierung sind keine absolut gültigen Sachzwänge, kein Diktat, dem wir uns total unterordnen müssen. Die Asiaten machen es uns jeden Tag vor, dass dem nicht so ist. Sie spielen ihre eigenen Vorteile gnadenlos aus und nutzen ihren Handlungsspielraum, den sie trotz der Sachzwänge haben.

Nur dadurch, dass sie das Ideal des „freien Handels“ in ihrem eigenen Sinn auslegen und umsetzen, ermöglichen sie ihren wirtschaftlichen Erfolg (und letztlich auch das steigende globale Wirtschaftswachstum).


Man sollte sich darüber klar werden, dass der „freie Welthandel“ ein Phantasiegebilde ist, ein virtuelles Konstrukt, das es so nicht gibt, und das von seinen eigenen Protagonisten (den amerikanischen, ach so allwissenden Wirtschaftsweisen) selbst nicht umgesetzt, aber der restlichen Welt aufgezwungen wird. Denn würden sie es konsequent umsetzen, könnten sie morgen Staatsbankrott anmelden. Von ihrer Stahlindustrie über die marode Autoindustrie und dem auf Pump hochgehaltenen Privatkonsum bis hin zum hochdefizitären US-Staatshaushalt lebt dort alles in einer riesigen Seifenblase, auf die schon der spitze Schnabel des Pleitegeiers gerichtet ist.


Daher sollte man sich mental von dem in der öffentlichen Diskussion immer wieder mit derselben Penetranz betonten „Vorbild USA“ nicht beeindrucken lassen. Im Gegensatz zu den USA und Großbritannien hat Deutschland die Finanzkrise bisher relativ gut überstanden.

Ein Faktor, der jedoch für Deutschland gefährlich werden kann, ist der Qualitätsverlust im Bildungswesen sowie der typisch deutsche Hang, sich „auf den Lorbeeren auszuruhen“, sowie der bürokratische Wasserkopf. Es kann nicht sein, dass man vier, fünf, sechs Milliarden Euro für die Stuttgarter Bahnhofsbuddelei übrig hat, jedoch am Bildungswesen spart.


Insgesamt hat die Finanzkrise vielen Menschen das bevorstehende Ende der neoliberalistischen Ära vor Augen geführt. Für die US-Amerikaner beginnen erst die schmerzlichen Lernprozesse, auch die Tea-Party-Bewegung wird auf Dauer diese Prozesse nicht aufhalten können. Die Idylle der „guten alten Reagan-Ära“, an die sicher viele Neokonservative noch mit Wehmut zurückdenken, wird sich nicht wieder restaurieren lassen. Der Zug ist abgefahren, für den nächsten Zug ist kein Geld mehr da. Je länger sie die notwendigen Änderungen hinauszögern, desto drastischer wird der „große Knall“ in Form des bevorstehenden Währungs-Crashs.


Vor diesem Währungs-Crash und einer US-Währungsreform sehe ich persönlich für die Verwirklichung wichtiger Aufgaben wie z.B. einer effektiven Regulierung des Finanzwesens keinen Raum. Eine Diskussion z.B. über Mindesteinlagen der Banken bei riskanten Finanzgeschäften wird von der Finanzoligarchie bisher mit allen Mitteln verhindert. Erst der Crash des Dollars sowie das damit verbundene Ende der Dollar-Hegemonie wird Raum für diese notwendigen Diskussionen schaffen, davon bin ich überzeugt. Vorher wird sich in dieser Richtung nichts entscheidendes bewegen.

Nennen wir es ruhig noch einmal als wichtige Grundeinsicht und als Fazit beim Namen: 

Der Neoliberalismus ist tot. 

Mausetot. Das  sehe nicht nur ich so, sondern unter anderem auch die braven Schweizer bei der dortigen Handelszeitung, bestimmt unverdächtig für sozialistische Ideologie.

https://www.handelszeitung.ch/beruf/sprechen-wir-es-aus-der-neoliberalismus-ist-tot


Immer wieder bin ich in diesem Buch auf die US-amerikanischen Verhältnisse eingegangen. Dies ist in meinen Augen notwendig, weil teilweise immer noch versucht wird, uns den amerikanischen neokonservativen Weg als „goldenen Weg“ zu verkaufen. Wenn mir Anti-Amerikanismus vorgeworfen wird: die Schilderung der Verhältnisse beruht auf Tatsachenrecherchen, und dass diese Verhältnisse nun einmal so sind, dafür kann ich nichts. Und wenn die Warnung davor, diesen amerikanischen Weg zu gehen, als Anti-Amerikanismus aufgefasst wird, dann mag das meinethalben so sein. Ich habe nicht das geringste gegen die amerikanische Bevölkerung, die schon oft in ihrer Geschichte bewiesen hat, dass sie große Krisen meistern und sich selbst immer wieder neu erfinden kann. Jedoch gehört dazu die Bereitschaft zur Systemkritik und zum Überbordwerfen überkommener Denkmuster, die sich nachweislich als falsch und schädlich herausgestellt haben. Dazu fehlt einem großen Teil der Amerikaner jedoch derzeit der Wille. Es geht ein tiefer Riss durch die amerikanische Gesellschaft, daraus ergibt sich eine politische Handlungsunfähigkeit.


Die schonungslose Darstellung der amerikanischen Verhältnisse in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit ist jedoch auch als Antwort gegenüber der jahrzehntelangen neoliberal geprägten Propagandaarbeit zu verstehen. Noch wenige Jahre vor dem Platzen der Immobilienblase 2008 hat der US-Autor und Zukunftsforscher John Naisbitt allen Ernstes behauptet, die USA seien auf dem besten Weg zur Hochblüte, vergleichbar mit den besten Tagen des römischen Weltreiches. Dagegen würde sich Europa zu einem „romantischen Themenpark“ zurückentwickeln, reduziert auf seine touristischen Zuckerbäcker-Attraktionen, ansonsten überall auf dem Rückzug.


In der Tat sind momentan die USA selbst einer der unwirtlichsten Themenparks der Welt.


Noch kurz vor der Finanzkrise wurde uns dieses neokonservative, selbstherrliche Weltbild des „Wolkenkuckucksheim USA“ von Protagonisten wie Naisbitt täglich vorgebetet und von allen Massenmedien sogar bis hin zum SPIEGEL nahezu kritiklos zitiert und nachgeplappert. Die Finanzkrise hat zu einer Götterdämmerung dieses selbstherrlichen Weltbilds geführt. Dieser Blog soll etwas über die Hintergründe dieses Weltbilds und seines Niedergangs erzählen und auch dazu einladen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie tiefgehend wir jahrzehntelang von Politik und Medien eine menschenverachtende Ideologie als angeblich allein seeligmachende Heilsbotschaft eingetrichtert bekommen haben. Zu welchen Schlüssen die Leser dabei auch immer gelangen: sie sollen sich jedenfalls nicht das Denken abnehmen lassen und ruhig auch abseits des weichgespülten Mainstream-Geplappers eigene Recherchen anstellen, Informationen sammeln, Widersprüche erkennen und sich immer wieder ein eigenes Bild machen.


Es gibt keine allgemeingültigen Patentrezepte. Keine Theorie ist perfekt, immer wieder gibt es Widersprüche. Nicht immer müssen diese Widersprüche die Theorie insgesamt hinfällig machen. Wenn jedoch Widersprüche gehäuft und im krassen Ausmaß erkennbar werden, dann ist eine Theorie durch die Praxis widerlegt, und sie ist als untauglich zu verwerfen. Wird sie jedoch nach wie vor nicht verworfen, so ist aus der Theorie in Wirklichkeit eine menschenverachtende Ideologie geworden. Kennzeichen jeder Ideologie ist ein krasser Realitätsverlust sowie die Forderung nach Unterordnung des Menschen unter das Primat dieser Ideologie. Es ist dann nicht mehr der Mensch, der die Regeln bestimmt, sondern der Mensch hat sich fremdbestimmten Regeln einer elitären Kaste anzupassen.


Ob die Kernforderung einer Ideologie dabei nun lautet: „Die sozialistische Einheitspartei hat immer recht“, oder: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, oder: „Alles muss sich dem freien Markt unterordnen“ – das Ergebnis ist mehr oder weniger dasselbe, und man darf getrost davon ausgehen, dass eine Förderung des Allgemeinwohls im Rahmen der kritischen Vernunft so ziemlich das allerletzte ist, was eine solche Ideologie in Wirklichkeit zum Ziel hat.


Der Leser ist dazu eingeladen, immer wieder selbst Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Systemen zu erkennen. Er ist auch dazu eingeladen, selbst zu beobachten und sich seine Meinung zu bilden. Die Kunst der Manipulation in Nachrichten liegt in der Auslassung der Berichterstattung über wichtige Tatbestände. Diese Tatbestände gelangen dem interessierten Zeitgenossen nur durch gezielte Recherche oder auch durch das „Lesen zwischen den Zeilen“ zur Kenntnis. Man darf nicht darauf hoffen, über diese Tatbestände in den Tagesnachrichten umfassend informiert zu werden. Wenn überhaupt, dann in spätabendlichen Doku-Sendungen.


Wer sich nicht selbst umtut und informiert, der ist in dieser turbulenten Zeit verraten und verkauft. Er lässt sich dann vielleicht als Privatanleger ausgerechnet amerikanische Staatsanleihen andrehen und erlebt dann vielleicht irgendwann sein blaues Wunder, wenn es zur Währungsreform des Dollars kommt. Die globale Wirtschaftspolitik hat auf jeden einzelnen von uns gravierende Auswirkungen, und man kann nur versuchen, für sich selbst das beste aus der Situation zu machen. Das ist jedoch nicht möglich, wenn man nicht über gewisse Zusammenhänge informiert ist, und wenn man das Denken an Mainstream-Medien und Bundesregierung „outgesourct“ hat. Dann ist man ein Blatt im Wind. Dann ist man dem System ausgeliefert. Das sollte jeder versuchen, zu vermeiden, so gut es irgend geht.

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