(c) Andreas Klisch, Germany, 2021

 

Blog zum Neoliberalismus

 

Teil 2: Finanzkrise, Globalisierung und Kritik des Neoliberalismus


Die schwere Finanzkrise seit dem Jahr 2008 hatte den Fokus unseres Interesses wieder einmal auf die Vorgänge der Weltwirtschaft gelenkt. Die Weltwirtschaft stand am Rand des Abgrunds, und es ist noch lange nicht sicher, ob die Krise zum jetzigen Zeitpunkt (2021) wirklich vorbei ist. Insbesondere weil die Covid-19-Pandemie erneut Belastungen verursacht. Man spricht von der schwersten Weltwirtschaftskrise seit 1929. Besonders in Mitleidenschaft gezogen wurden hiervon die USA, die vor einer langanhaltenden, tiefen Rezession standen. Die wesentlichen Ursachen der Finanzkrise lagen aber auch hauptsächlich in den USA. Dort ist eine vorher jahrelang künstlich durch Niedrigzinsen angeheizte Immobilien-Kreditblase geplatzt, eine Blase, die mittels undurchschaubarer Konstrukte aus dubiosen Finanzgeschäften am Leben gehalten wurde. Finanziert durch faule Kredite, deren Risiken auf ebenso faule Ausfallversicherungen verlagert wurden. Diese Ausfallversicherungen wiederum waren gedeckt durch ebenso faule Anlagemodelle. Das waren sogenannte „CDOs“, „collateral debt obligations“, ein merkwürdiges Konstrukt, von dem selbst Experten oft sagen, es sei nicht immer vollkommen klar, was das überhaupt sei, und die dann auf der ganzen Welt als Finanzanlagen mit hohen Renditen verkauft wurden. Durch das internationale Gewicht des US-amerikanischen Finanzmarktes waren dadurch mehr oder weniger alle Länder der Welt mit betroffen.


Auch Jahre später wussten manche Banken noch immer nicht endgültig, wie hoch die Risiken zu beziffern waren, die sie in Form fauler Papiere in den Kellern liegen haben. Nicht nur die Amerikaner und Briten, auch die Deutschen, Franzosen, Schweizer und viele andere haben sehr viele Staatsgelder aufwenden müssen, um etliche Banken vor dem Kollaps zu retten. Dafür haben sich diese Staaten weiter verschulden müssen, die Hypothek dafür wird den nachfolgenden Generationen mit angelastet.


Der interessierte Zeitgenosse beginnt zu ahnen, dass unsere angeblich ach so wirtschaftsweisen Entscheidungsträger aus Politik und Finanzwelt die Prozesse nicht mehr im Griff haben. Sie sitzen mit nacktem Hintern auf einem wildgewordenen Bullen und können lediglich noch versuchen, sich eine Zeit lang an den Hörnern festzuhalten. Die Kontrolle darüber, wo der Bulle hinläuft, scheinen sie nahezu vollständig verloren zu haben. Aber sie haben dieses Wildwest-Rodeo ja auch nicht anders haben wollen, denn sie selbst waren es schließlich, die jahrzehntelang gefordert haben, dass sich auf dem „freien Finanzmarkt“, auf der „freien Weide“, der „freie Bulle“ beliebig austoben und entfalten dürfe, damit er auch nur ja recht schön wachse und gedeihe.


Diese Vorgänge sind ohne Kenntnis der Prozesse, durch die sie beeinflusst werden, nicht richtig zu verstehen. Wir haben es nicht nur mit einer Krise der globalisierten Weltwirtschaft zu tun, sondern auch mit einer Krise des wirtschaftstheoretischen Überbaus. Die Konzepte, die uns seit Jahrzehnten als angebliche Garanten für das weltweite Wirtschaftswachstum verkauft wurden, scheinen nun plötzlich nicht mehr zu funktionieren – auch, wenn diese Tatsache nicht von allen Verantwortlichen zugegeben wird. Vielmehr wird immer noch eine Politik des „weiter-so-wie-gehabt“ verfolgt. Eine effektive Bankenaufsicht, eine Regulierung der Finanzmärkte und Rating-Agenturen ist insbesondere in den USA politisch nur eingeschränkt durchsetzbar. Die unter Obama in Folge der Krise eingeführte teilweise Regulierung sogenannter "Schattenbanken" wurde unter Trump weitgehend wieder aufgehoben.


Diese sture Haltung wird von vielen Seiten kritisiert. Dabei wird von Kritikern immer wieder Bezug genommen auf das Wertesystem des Neoliberalismus, das nun eigentlich am Ende sei. Es wird von einer Art „Zeitenwende“ gesprochen, von einer Krise des globalisierten Turbokapitalismus.


Die zwei Begriffe Globalisierung und Neoliberalismus werden häufig in engem Zusammenhang verwendet, teilweise miteinander verwechselt.


Die Globalisierung ist ein historischer Prozess.

Einen historischen Prozess kann man nicht kritisieren, es nützt auch niemandem etwas, wenn man gegen ihn oder für ihn ist.


Jeder Prozess folgt dabei aber bestimmten Regeln, und er wird immer in irgendeiner Form gelenkt und beeinflusst. Daher ist es ein Trugschluss, zu behaupten, die Globalisierung sei ein Naturgesetz, dem wir uns bedingungslos anzupassen hätten, wenn wir nicht untergehen wollten.

Man kann vielmehr versuchen, einen Prozess zu lenken, bzw. mit ihm umzugehen und das bestmögliche daraus zu machen. Die Behauptung, es gebe „keine Alternative“ („There is no alternative“, wie Margaret Thatcher immer zu säuseln pflegte) ist zu hinterfragen.


Die Prinzipien, nach denen dieser Prozess gelenkt wird, werden zur Zeit immer noch durch eine wichtige, einflussreiche Wirtschaftstheorie bestimmt. Damit kommen wir zum Neoliberalismus. Hierbei handelt es sich um eine stark ideologisch überlagerte Wirtschaftstheorie mit wissenschaftlichem Anspruch, die sich als Theorie durchaus einer vergleichenden Kritik zwischen ihren Ansprüchen und den erreichten Ergebnissen zu stellen hat - auch wenn sie das an allen Ecken und Enden zu vermeiden sucht.


Als Globalisierung wird dagegen der Effekt bezeichnet, dass in einer technisch zusammenwachsenden Welt zunehmend Grenzen, nationale Schranken und Distanzen keine Hindernisse für den Welthandel mehr darstellen.

Auf diese Weise entwickelt sich ein Welthandel, für den nationale Normen und Gesetze nicht mehr gelten. Denn dieser Welthandel wurde in den letzten Jahrzehnten durch Abbau von Zöllen und sonstigen Handelshemmnissen forciert. Es entwickeln sich übergeordnete, globale Sachzwänge, die sich über nationale Grenzen zunehmend hinwegsetzen, und die den Handlungsspielraum nationaler Regierungen erheblich eingrenzen – wenn sich die Regierungen den angeblichen „Sachzwängen“ des freien Welthandels bedingungslos unterwerfen.

Wenn beispielsweise eine Regierung einen nationalen Mindestlohn gesetzlich festschreibt, so wird dies in einem globalisierten Welthandel zunehmend schwieriger. Da der Faktor Arbeit sich nunmehr einem internationalen Vergleich stellen muss, wird der Mindestlohn, sofern irgend möglich, durch Verlagerung der Arbeit ins billigere Ausland umgangen. Wo die Stundenlöhne im Centbereich liegen, und wo weder Sozialabgaben noch Arbeitsschutz- oder Umweltschutzauflagen existieren.

Da der freie Markt das höchste Ideal der Ideale ist, setzt man sich über alles hinweg, was angeblich der „guten Sache“ im Weg steht. Ob es das internationale Völkerrecht ist, ob es überflüssige Umweltverträge sind: das brauche man alles nicht, das sei etwas für Weicheier oder für Kommunisten.


Der Begriff „Neoliberalismus“ bezeichnet ursprünglich eine Wirtschaftstheorie, die Mitte des letzten Jahrhunderts von Hayek, Friedman u.a. entwickelt wurde, und die dann seit Anfang der 1980-er Jahre herrschende Doktrin der westlichen Welt geworden ist.

Eng verknüpft damit ist ein politischer Neokonservativismus, der sich wirtschaftspolitisch streng neoliberal und marktradikal ausrichtet. Die Begriffe Neokonservativismus und Neoliberalismus werden dabei in der öffentlichen Diskussion oft durcheinandergewürfelt. Der Neoliberalismus bietet als Wirtschaftstheorie den wissenschaftlichen Überbau für die politische Umsetzung in Form des Neokonservativismus, der besonders in den USA jedoch auf einer breiten Basis aufgebaut ist und dort z.B. auch in der Politik der inneren Sicherheit und in der Außenpolitik ganz eigene Akzente setzt, die mit der neoliberalen Wirtschaftstheorie nicht direkt etwas zu tun haben.


Diese Wirtschaftstheorie hatte ihren Ursprung in den USA. Populär geworden ist dabei der Neoliberalismus im Sinne der „Chicago-Schule“, weil Milton Friedman, der Nobelpreisträger, dort seine Wirkungsstätte hatte.

Es gibt auch noch andere Linien des Neoliberalismus, die sich von der Chicago-Schule z.T. grundlegend unterscheiden. So gab es z.B. nach dem 2. Weltkrieg die einflussreiche „Freiburger Schule“ (Alexander Rüstow, Wilhelm Eucken, Wilhelm Röpke u.a.), die einen sogenannten „ordoliberalistischen“ Zweig geprägt hatte, der dann auch zum maßgeblichen Überbau der westdeutschen sozialen Marktwirtschaft unter Ludwig Erhardt wurde. Diese ordoliberale Schule misst dem Staat einen weit höheren wirtschaftspolitischen und sozialen Gestaltungsspielraum zu, als die Chicago-Schule. Da jedoch in der öffentlichen Diskussion der Neoliberalismus meist mit der marktradikalen Chicago-Linie identifiziert wird, soll dies hier der Einfachheit halber so beibehalten und die wichtigsten Elemente dieser Wirtschaftstheorie kurz umschrieben werden.


Der Staat soll sich nach marktradikal-neoliberaler Überzeugung weitestgehend aus dem Wirtschaftsleben heraushalten. Prinzipiell soll er eigentlich nur einen marginalen Schutz vor Kartellbildungen übernehmen, sowie polizeiliche und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Ansonsten solle alles dem Spiel der freien Kräfte am „freien Markt“ überlassen bleiben.

Beispielsweise lehnen die Neoliberalen eine staatliche Einmischung in Lohntarifangelegenheiten vehement ab. Es wird eine Deregulierung des Arbeitsrechts gefordert, sowie nach Möglichkeit die weitgehende Begrenzung des Einflusses der Gewerkschaften, wenn nicht sogar deren Abschaffung.

Ebenfalls strikt abgelehnt werden staatliche Investitionen in Verkehrswesen, Bildung, Kultur, erst recht Wirtschaftssubventionen. Ich werde später allerdings zeigen, dass dieser hehre Grundsatz auch von den Neokonservativen gern umgangen bzw. passend zurechtgebogen wird.


Im internationalen Handel wird die völlige Abschaffung aller Handelsbeschränkungen gefordert. Protektionistische Maßnahmen jeder Art, insbesondere Schutzzölle, werden als extrem schädlich für das Wachstum der globalen Wirtschaft angesehen. Alle diese Schranken seien einzureißen.

Allerdings zeigt auch hier die Praxis, dass dabei die Aufhebung protektionistischer Maßnahmen stets zu Lasten anderer gefordert wird, dass jedoch im Land der Erfinder des neoliberalen freien Handels, nämlich in den USA selbst, in den letzten Jahrzehnten protektionistische Maßnahmen nicht wesentlich abgebaut, sondern z.T. sogar neu eingeführt wurden. Übrigens seit der Finanzkrise 2008/2009 noch im verstärkten Umfang. Noch mehr dann nach Beginn der Präsidentschaft Donald Trumps 2017, die u.a. geprägt war von einem Rücktritt aus Handelsverträgen und hohen protektionistischen Schutzzöllen. Der "freie Welthandel", ursprünglich ein hehres Dogma der Neokonservativen, scheint weitgehend aufgehoben zu werden. Trotzdem versteht sich ausgerechnet Donald Trump als Fortsetzer neokonservativer Reaganomics. Ein Absurdum.


Ein wichtiges Element des Neoliberalismus war die Steuerung der Geldmenge als Instrument zur Bekämpfung von Inflation oder Deflation. Dies wird auch als „Monetarismus“ bezeichnet. Die Steuerung der Geldmenge über die Leitzinsen der Notenbanken sei das einzige Instrument, das dem Staat zur fiskalpolitischen Lenkung zustehe. Dabei sollen sich im Grunde auch die Geldmenge und die Zinsen immer an die Entwicklung der tatsächlichen Wirtschaftsdaten anpassen. Es soll auf keinen Fall versucht werden, über die Zinsen eine aktiv lenkende Wirtschaftspolitik zu betreiben, etwa z.B. um die Konjunktur über niedrige Zinsen anzukurbeln. Auch alle anderen Maßnahmen wie Staatsinvestitionen und Subventionen seien grundsätzlich schädlich.


Das oberste Prinzip und Ideal der Neoliberalen ist der freie Welthandel. Insbesondere der freie Kapitalverkehr. Dem habe sich letztendlich alles unterzuordnen, auch der Mensch.

Als Denkprinzip liegt diesem Marktradikalismus eine Art Sozialdarwinismus zugrunde. Die globale Weltwirtschaft wird als ein Dschungel gesehen, in dem sich nur derjenige durchsetzt, der am stärksten ist – letztendlich auf Kosten anderer.


Das erste große neoliberale Experiment fand ab 1975 in Chile statt. Nach dem Sturz des Kommunisten Allende war General Pinochet stark von neoliberalen Ideen beeinflusst und hielt sich wirtschaftspolitische Berater aus dem Umfeld der Chicago-School. Etliche dieser Berater waren Chilenen, die in Chicago studiert hatten.

Von dem chilenischen Junta-Admiral Merino ist folgender Satz überliefert:


Let fall those who must fall. Such is the jungle of [...] economic life. A jungle of savage beasts, where he who can kill the one next to him, kills him. That is reality.”


Bedeutet übersetzt: “Kümmere Dich nicht um die, die fallen müssen. So ist das im Dschungel des wirtschaftlichen Lebens. Es ist ein Dschungel mit wilden Tieren, wenn einer den Nächstbesten töten kann, tut er es auch. Das ist die Wirklichkeit.“


Der Neoliberalismus sieht also die globalisierte Weltwirtschaft als darwinistischen Existenzkampf. Verschiedene „global player“ kämpfen international um Ressourcen, um Reichtum und Prestige. Andere dagegen gehören zu den vorher schon feststehenden Verlierern, die „notgedrungen“ fallen müssten, zugunsten der Stärkeren und angeblich zum Wohle der gesamten Menschheit.


Der weitgehende Wegfall aller staatlich regulierenden Elemente im marktradikalen Neoliberalismus hat keinen anderen Zweck, als diesen der Biologie entnommenen verbrämten Darwinismus als oberstes Prinzip der Weltwirtschaftsordnung zu etablieren.

Der Starke frisst dabei den Schwachen, weil er es kann, und weil das eben nicht nur ein Naturgesetz, sondern auch ein Naturrecht sei. Die Fragen, ob er es darf, und ob das alles letztlich zielführend für das Allgemeinwohl ist, spielen dabei keine Rolle, da diese Fragen bereits tabu sind. Diese sozialdarwinistisch geprägte ideologische Komponente des Neoliberalismus ignoriert die Notwendigkeit eines von tradierten humanistischen oder auch religiösen Prinzipien geprägten ethischen Handelns. Diese Prinzipien lehnt der Neoliberalist als „schädliche Gefühlsduselei“ oder auch gleich als „Sozialismus“ rundheraus ab. Er bringt vor, dass der Existenzkampf des Dschungels in der freien Natur schließlich auch keinen ethischen Prinzipien folge, sondern dass dort der Stärkere sich durchsetze, und dass nur deshalb eine evolutionäre Entwicklung der Natur und auch der Menschheit stattgefunden habe.


Damit werfen die Neoliberalen die gesamten ethischen Prinzipien aller Weltreligionen, aber auch die gesamte Anthropologie und Philosophie mindestens seit der Zeit der Aufklärung über Bord. Vergessen wird, dass der Mensch sich evolutionär eben gerade dadurch vom Tier unterscheidet, dass er – eigentlich – mit der Gabe des rationalen Verstandes ausgestattet ist. Zu diesen Grundfähigkeiten des rationalen Verstandes gehört nach Immanuel Kant die Fähigkeit bzw. der Wille zum ethischen Handeln als eine der grundlegenden Eigenschaften, die den Menschen vom Tier unterscheiden. Kant spricht dem Menschen regelrecht eine Verpflichtung zum ethisch-rationalen Handeln zu. Dieser Gesichtspunkt war allen Weltreligionen und allen Philosophen seit der Antike über Voltaire, Rousseau, Kant und Hegel bis heute eigentlich geläufig, aber für den Manager eines Hedgefonds oder einer Rating-Agentur ist es anscheinend aus Gründen der „Performance“, der Profitoptimierung und des „shareholder-value“ dringend erforderlich, auf diese menschliche Basisfähigkeit vollends zu verzichten. Sofern Manager und Finanzinvestoren teilweise schon keine Bereitschaft zum ethischen Handeln zeigen, sollte man zumindest erwarten dürfen, dass sie noch rechnen können und Schaden von ihrem eigenen Unternehmen abzuwenden in der Lage sind. Aber wie man an den Beispielen Enron, Arcandor, Lehman Brothers, AIG, Hypo Real Estate, Teldafax, Flexstrom, Wirecard, Greensill und anderen sieht, darf man von Managern in leitenden Funktionen inzwischen selbst diese betriebswirtschaftlichen Qualifikationen nicht mehr zwingend erwarten. Da werden Bilanzen gefälscht, da werden Kalkulationen in der Qualität von Milchmädchenrechnungen als Glanzleistungen hingestellt und mit aberwitzigen Bonuszahlungen honoriert. Völlig selbstverständlich kassieren die Führungskräfte Jahresgehälter und Bonuszahlungen in zweistelliger Millionenhöhe, während der Wert ihrer eigenen Unternehmen in den Keller geht bzw. sogar das Unternehmen in die Insolvenz geführt wird. Das haben wir dann gefälligst als „Kollateralschäden“ hinzunehmen. Wo gehobelt wird, da fallen schließlich Späne. Ob im Casino oder an der Börse. Das gehört dazu.


Wenn man sich diese Gedankengänge einmal veranschaulicht, begreift man auch die Ursachen für das weithin fehlende Unrechtsbewusstsein von Wirtschaftskriminellen. Dieses fehlende Unrechtsbewusstsein ist die direkte Folge und Auswuchs einer ideologischen Doktrin, die seit Jahrzehnten eine sozialdarwinistische Ellenbogenmentalität unter ethischem Zerfall gezielt gefördert hat. „Freie Fahrt dem Unverschämten, dem Dreisten. Frechheit siegt. Was nicht ausdrücklich verboten ist, das ist erlaubt. Jedem das seine, aber mir bitteschön das meiste.“


Aber der Dschungel-Vergleich hinkt noch aus einem anderen Grund, und jeder Biologe weiß das. Vergessen wird bei diesem verzerrten Dschungel-Vergleich, dass es in der freien Natur selbstregelnde Mechanismen gibt, die – übertragen auf die Weltwirtschaft – jedoch vom Neoliberalismus außer Kraft gesetzt werden. In der Natur hat auch ein schwacher Hase seine eigenen, wenn auch passiven Möglichkeiten der Verteidigung. Er kann Haken schlagen, seinen Verfolger abschütteln oder sich einfach in ein Loch verkriechen. Eine Antilope ist schnell, und sie kann sich mit ihren Hörnern und scharfen Hufen oft sogar erfolgreich gegen einen angreifenden Löwen verteidigen. Die Antilope kann dem Löwen schwere Wunden zufügen, die ihm in der Wildnis dann schwere Probleme mit Wundinfektionen bereiten werden. Es ist überhaupt nicht gesagt, dass der Löwe zwangsläufig immer gewinnt. Daher umschleicht der jagende Löwe auch erst einmal eine geraume Zeit lang die Antilopenherde, er sucht sich ein möglichst schwaches Opfer, und er muss auf einen geeigneten Zeitpunkt warten, wo die Herde möglichst gerade nicht in Bewegung ist. Er weiß instinktiv, dass er im Moment des Angriffs sehr viel Kraft und Energie verbrauchen wird. Allzu viele Versuche hat er nicht frei, nach mehreren erfolglosen Anläufen werden die Kräfte nachlassen. Es ist noch lange nicht gesagt, dass er immer gewinnen muss, nur weil er ein starker Löwe ist.


Die Stärke der Antilope liegt in der Schnelligkeit.

In der neoliberal dominierten Wirtschaftspolitik wird es jedoch der Antilope verboten, wegzurennen, und es wird dem Hasen verboten, sich in ein Loch zurückzuziehen. Wie kommt der Hase dazu? So etwas sei unerlaubter „Protektionismus“, der lediglich dem jagenden Kojoten zugestanden wird, weil der eben Kraft seines Einflusses die Regeln bestimmt und daher tun darf, was dem anderen verboten wird. Das Verstecken verstoße gegen den „freien Dschungel“. Der Hase habe gefälligst stillzuhalten, sich regungslos auf die Wiese zu setzen und sich von den Hyänen zum Wohl der freien Natur zerfleddern zu lassen. Auch das sei schon ganz richtig so und spiegele nur das Recht des Stärkeren, dem man sich bedingungslos unterzuordnen habe.


Vergessen wird auch, dass sich in der Natur ein gewisses Gleichgewicht zwischen „Fressen“ und „Gefressenwerden“ einstellt. Der Räuber geht zugrunde, wenn er sich zu stark vermehrt hat und keine Nahrung mehr findet, weil er sich alles gegriffen hat, was ihm in die Quere gekommen ist.

Auch das ist ein Naturgesetz, das man auf den Prozess der neoliberalen Globalisierung mit Fug und Recht anwenden könnte. Übertragen auf die Weltwirtschaft gilt: wenn die globalisierte Massenarmut zu hoch ist und alle Ressourcen restlos verbraucht sind, gibt es nichts mehr zu holen. Dann werden alle Spekulationsblasen und Finanzkartenhäuser, der Wasserkopf, der jahrzehntelang sich nur in einem Sog von unten heraus ernährt hat, zusammenfallen. Die Bedeutung des Wortes „Finanzkartenhaus“ wird spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 jedem, der es wissen möchte, unmittelbar vor Augen geführt.


Eigentlich ist der Mensch durch die Evolution eben aus diesem Grund mit dem Verstand ausgestattet worden, um gerade solche Dinge nach Möglichkeit zu verhindern. Der Mensch sollte eigentlich einen Einfluss auf diese Dinge haben, solche Ereignisse sollen nicht mehr „einfach so“ über ihn hereinbrechen wie unvermeidbare Naturkatastrophen.


Wenn nun aber der Neoliberalist die Notwendigkeit ethischen Handelns in der Finanz- und Wirtschaftspolitik insgesamt ableugnet, dann wirft er damit die ethischen Grundprinzipien sämtlicher Weltreligionen und Philosophien seit Tausenden von Jahren mit einem überheblichen Grinsen über Bord. Er ist damit auch im Grunde genommen mutiert zu einer geldgierigen, prinzipienlosen, instinktgesteuerten Hyäne.


Das klingt alles sehr krass, vielleicht auch teilweise überspitzt. Jedoch stammt der Dschungelvergleich nicht von mir, sondern der neoliberale chilenische Junta-Admiral Merino selbst hat ihn gebraucht, und auch Friedman und andere haben sich immer wieder ähnlicher Allegorien bedient. Friedman beschreibt in seinem Buch „Capitalism And Freedom“ (1962) die Idealvorstellung des Neoliberalisten als einen Menschen, der ähnlich wie Robinson Crusoe auf einer Insel lebt, und dessen Freiheit dort nur von den natürlichen Gegebenheiten eingeschränkt werde. In einer menschlichen Gesellschaft, wo es keine absolute Freiheit für alle geben kann (selbst Friedman sieht das ein, er war ja kein Anarchist...), habe der Staat trotzdem die maximal mögliche Freiheit des Individuums zu garantieren. Der Staat habe nur dafür zu sorgen, dass ein „freier Markt“ bestehe, und dass niemand in seinen Freiheitsrechten diskriminiert werde.


Allerdings unterlässt es Friedman, einige grundlegende Dinge klar genug darzustellen: was ist „Freiheit“, und welches Ziel soll Freiheit haben? Und ab wann wird jemand „in seinen Freiheitsrechten unverhältnismäßig diskriminiert“? Wer soll wieviel Freiheit haben? Jedenfalls ist bei ihm der Begriff "Freiheit" meiner Ansicht nach sehr unzureichend definiert. Reduziert auf Redefreiheit, Meinungsfreiheit (auch wenn es das alles in seinem sogenannten "chilenischen Wunder" nun wirklich nicht gab), und vor allem: das Recht auf Eigentum. Aber wer soll wieviel Recht auf auf wieviel Eigentum haben, und gilt noch der Grundsatz: "Eigentum verpflichtet"? - Offenbar nicht. Kann das gutgehen? Dazu äußert er sich nicht.


Gehört es nicht zur Freiheit bzw. zu den Grundrechten eines Menschen, ohne Angst leben zu dürfen gegen den Fall, dass man schwer krank wird und die vielen Arztrechnungen nicht mehr bezahlen kann, bzw. arbeitslos zu werden oder am Ende unverschuldet obdachlos durch Zwangsräumung? Dieser ganze Themenbereich der Sozialpolitik wird in Friedmans Theorien schlichtweg ausgeblendet oder aber die Diskussion als schädlich erklärt. Zwar fordert er für Personen mit prekärem Einkommen eine sogenannte "Negativsteuer". Allerdings wird nicht diskutiert, wo denn nun die Schwelle für das absolute Minimum liegen soll, ab der die Person Unterstützung vom Staat erhalten soll. Außerdem geht Friedman nicht auf den unweigerlich eintretenden negativen Effekt ein, dass durch eine derartige Subvention prekärer Jobs aus Steuergeldern für viele Arbeitgeber geradezu ein Anreiz geschaffen wird, die Löhne im prekären Sektor noch niedriger zu halten als sie ohnehin schon sind. Und dass durch den negativen Preisdruck auf das gesamte Lohngefüge auch für die Mittelschicht ein negativer Einfluss resultieren könnte. Zwar war Friedman sonst überall strikt gegen jede Subventionen und gegen jeden staatlichen Interventionismus. Wenn es aber darum geht, prekäre Jobs aus Steuergeldern zu subventionieren und auf der anderen Seite eine Debatte um einen Mindestlohn als "Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Freiheit", als Dirigismus und Interventionalismus rundheraus abzulehnen, war Friedman bemerkenswerterweise immer an vorderster Front dabei. Nicht nur hier geht es darum, Profite zu maximieren und die negativen Effekte der Allgemeinheit aufzubürden, also zu sozialisieren. War er wirklich so blauäugig und naiv, dass er das nie geahnt hat? - Ich glaube eigentlich nicht. Der Mann war offenkundig hochintelligent und hat ganz genau gewusst, wo er uns hin haben will.


Als Wirtschaftstheoretiker mit Herkunft aus dem bürgerlich-konservativen Lager nimmt Friedman offenbar an, dass die Freiheit des Menschen vor allem darin bestehe, seinen Wunsch nach Akquirierung von Vermögen und Besitz maximal auszuleben. Ein jeder solle die Möglichkeit haben, maximalen Besitz anzuhäufen.

Auf diese Zielvorstellung hin wird letzten Endes das „Glück“ und das Lebensziel des Menschen als Individuum reduziert. Das ist es wohl, was Friedman unter dem diffusen Begriff „Freiheit“ versteht.


Dieser Freiheitsbegriff ist an sich schon höchst fragwürdig. Zumindest in einer komplizierter werdenden Welt mit multiplen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Problemen ist dieser Freiheitsbegriff dringend zu hinterfragen, weil die Umsetzung in dieser Form bisher schon nie praktikabel war und in Zukunft erst recht nie praktikabel sein wird. 6 oder 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten können bei begrenzten Ressourcen und unter den bekannten wachsenden ökologischen Problemen nicht alle einen maximalen Besitz akquirieren und ihren „maximalen individuellen Freiheitsdrang“ ausleben.


Aber eigentlich ist das von den Neoliberalen auch gar nicht so gemeint. Vielmehr soll dieses Recht auf „maximale Freiheit“ (also: maximalen Besitz) nur einer kleinen, erlesenen, elitären Kaste zustehen. Nur dann macht unter den gegebenen globalen Rahmenbedingungen diese Vorgabe überhaupt Sinn. Aber so ehrlich, das rundheraus zuzugeben, war Friedman nun auch wieder nicht.


Zudem unterlässt es Friedman, die Grundsätze für die Kriterien und Regeln dafür zu definieren, um zu entscheiden, was denn nun eine unverhältnismäßige Einschränkung der „Freiheit“ sein solle und wem eine maximale Freiheit denn zustehen solle.


Führen wir diesen Gedanken einmal überspitzt ad absurdum.

Eigentlich könnte ein neoliberal denkender Einbrecher durchaus so argumentieren:


Es gehört zu meinen verbrieften Grundrechten, Besitz anzuhäufen, und zwar auf möglichst effiziente Art und Weise. Das ist für mich eben nur mit dem Einbruchsdiebstahl machbar, denn etwas anderes habe ich nicht gelernt, und etwas anderes will ich auch überhaupt nicht tun. Der Einbruchsdiebstahl gibt mir schließlich die Möglichkeit, meine Fähigkeiten und meine Persönlichkeit voll zu entfalten und in kürzester Zeit auf sehr effiziente Weise meinen Besitzstand zu mehren. Wie kommt nun der Staat, also die Polizei, dazu, meine verbrieften Freiheitsrechte durch sozialistische Strafgesetze einschränken zu wollen? Wie kommen die dazu, mir den Einbruch zu verbieten und mich einzusperren? Das ist unerlaubte Protektion! Freiheitsberaubung! – Das ist ein unzulässiger Eingriff in die Berufs- und Gewerbefreiheit! Das ist Sozialismus! – Wir brauchen keine Polizei! Das ist Verschwendung von Steuergeldern. Ein jeder Bürger kann sich selbst schützen. Er kann sich eine Knarre und einen Wachhund kaufen, oder er kann einen Nachtwächter einstellen, der mit einer Maschinenpistole sein Haus bewacht. Eine Kalaschnikow oder eine Pumpgun ist dann auch ein Argument, dem ich mich sicher nicht verschließen werde, wenn mir der Hausbesitzer oder der Nachtwächter damit entgegenkommt. Auch das Zähnefletschen eines Rottweilers werde ich wohl oder übel respektieren. Da werde ich dann auf den Einbruch verzichten. Ich respektiere dann notgedrungen den Willen des Hausbesitzers, seinen Besitz zu verteidigen. Schließlich ist das sein verbrieftes Freiheitsrecht, das dem meinen entgegensteht. Er hat die besseren Argumente. Ich habe nur eine 37-er, er aber die Pumpgun. Okay, okay, ich lasse es bleiben und suche mir ein anderes Objekt, was nicht bewacht ist. Zum Beispiel bei der Oma Erna, die sicher Geld im Wäscheschrank hat. Aber da darf ich dann doch wohl rein! Das gehört zu meinen Freiheitsrechten. Freiheit dem Tüchtigen! Weg mit der Polizei! Wir sparen Geld! Jeder soll sich selbst verteidigen! Wenn die Oma Erna keine Knarre hat: selbst schuld!“


Natürlich ist das nicht erlaubt, der Einbrecher bekommt vom Richter gesagt: „Was hier ein verbrieftes Grundrecht ist, das bestimmen noch lange nicht ausgerechnet Sie.“

Wer definiert aber nun, was erlaubt ist, und was nicht?


Damit kommen wir zwangsläufig zu Fragen der Ethik. Ohne Ethik gibt es schon kein Strafrecht.

Das „ethische Handeln“ ist aber für den Neoliberalisten letztendlich nur überflüssige, überkommene Gefühlsduselei. Damit mag er sich eigentlich gar nicht erst abgeben.


Wieso wird aber dann dem Einbrecher in einer unangemessenen Einschränkung seiner Berufsfreiheit sein Gewerbe untersagt, während andererseits ein Finanzmanager ein Ramschzertifikat, von dem er ganz genau weiß, dass es nächste Woche platzen wird, mit „Spitzen AAA-Rating“ völlig ungestraft als „bombensichere und hohe Rendite bringende“ Anlage an ahnungslose Kleinanleger empfehlen darf? In beiden Fällen geht es letztlich doch auch um das Recht auf Schaffen von Eigentum, was für Friedman einen hohen Stellenwert hat. Der Einbrecher darf das nicht, aber der Finanzbetrüger darf das und wird nicht belangt. Er kann zulasten anderer ungehindert und unsanktioniert seinen Besitzstand mehren.


Richtig: der Finanzmanager möchte gern ungestört von staatlicher „Gängelung“ am „freien Markt“ seinen krummen Geschäften nachgehen, aber er möchte nicht gern, dass in seine Villa eingebrochen wird. Er möchte nicht gern in seiner Villa mit der Pumpgun Nachtwache schieben müssen, und seine Frau möchte nicht in einem Stacheldrahtverhau mit Selbstschussanlage und mit im Garten herumknurrenden Rottweilern leben. Nein, irgendwie möchte man dann doch auf den Cocktailparties seinen Reichtum genießen und präsentieren dürfen. Das geht aber nicht, wenn ständig die Rottweiler herumheulen und die illustren Gäste bei der Toreinfahrt in die Mündungsrohre einer Selbstschussanlage blicken. Das geht auch nicht, wenn man ständig in Angst vor dem Einbrecher leben muss, der einfach auch nur sein ihm vermeintlich zustehendes Recht auf Berufsfreiheit in Anspruch nehmen will.


Da man aber als Finanzmanager Einfluss auf die politisch maßgebliche Elite besitzt, hat man auch Einfluss auf die geltenden Regeln, Normen, Gesetze. Und man verbietet einfach dem Einbrecher genau das, was einem selbst durchaus erlaubt ist. Und auf einmal ruft man nach dem starken Staat und nach der Polizei. Vorher hat man Steuersenkungen und die Liberalisierung des Finanzwesens durchgesetzt und einen „schlanken Staat“ verlangt, jetzt aber will man plötzlich einen „starken Staat“.


Aber die Polizei soll eigentlich vor allem in dem Villenviertel für Recht und Ordnung sorgen. In den Slums dagegen gibt es zwar eine Polizeiwache, als Alibi, aber mit viel zu wenig Polizisten. Dort kann man dann ruhig sparen. Flächendeckende innere Sicherheit ist sowieso ein Luxus, den wir uns nicht überall leisten können. Wer dort anruft und eine Schießerei meldet, bekommt dann vielleicht zu hören: „Rufen Sie nochmal an, wenn die Schießerei fertig ist. Dann kommen wir.“


Der Neokonservative ist es, der die Regeln definiert, was als schützenswert gilt. Schützenswert ist in erster Linie Leib und Leben sowie das Einkommen und der Besitzstand der elitären Kaste. Und vielleicht auch noch – bedingt – des Mittelstands. Dafür wird ein „Nachtwächterstaat“ gefordert, aber nur in einem Umfang, der sicherstellt, dass die Reichen in Ruhe ihren Geschäften nachgehen und ihren Reichtum genießen können.

 

Der Neokonservative ist es auch, der (in den westlichen Demokratien) zwar nicht die Regeln definieren darf, ob jemand prinzipiell eine für ihn unbequeme Meinung äußern darf. Er definiert jedoch die Regeln dafür, wer überhaupt Gehör findet. Dadurch, dass er viel Geld im Hintergrund hat, übt er entscheidenden Einfluss auf die Medienlandschaft und damit auch auf den sogenannten "Mainstream" aus. Er sorgt dafür, dass über Jahrzehnte hinweg fast schon in einer Art Gehirnwäsche das ewige Mantra vom freien Markt und schlanken Staat und vom Kampf gegen Sozialschmarotzer und sozialistische Gängelung von den TV-Geräten und aus den Zeitungen dröhnt. Jedwede Anwandlung einer Forderung nach Regulierung des Finanzmarkts, progressiver Besteuerung u.a. wird sofort als "Sozialismus" niedergebrüllt.

Die Macht der Medienkonzerne (Rupert Murdoch u.a.) und ihr Einfluss auf die Meinungen wird von Friedman überhaupt nicht thematisiert.


Wer definiert die Regeln dafür, wer das Recht auf Entfaltung seiner Freiheit hat?

Bereits diese Frage wird im Neoliberalismus gar nicht gestellt, sie ist tabu. Der Neoliberalist unterstellt vielmehr stillschweigend, dass es eine weltweite Chancengleichheit gebe, und dass daher ein Zeitgenosse, der im neoliberalen System seine „Freiheit“ nicht verwirklichen könne, eben „selbst schuld“ sei. Die Tatsache, dass die Grundbedingungen und Chancen höchst ungleich verteilt sind, wird unterschlagen. Damit geht man geschickt einer unbequemen Diskussion über Chancengleichheit aus dem Weg. Sicherlich darf man die Frage stellen, ob es eine absolute Chancengleichheit überhaupt gegen kann. Jedoch gehört es meiner Ansicht nach zu den Grundrechten und damit eben auch zur wirtschaftlichen Freiheit des Menschen, dass er in einem Rahmen leben darf, der ihm weitgehend die Chance eröffnet, das maximale aus seinen Fähigkeiten und Anlagen herauszuholen. 


Als Beweis für die angeblich phantastischen Möglichkeiten, im neoliberalen Kapitalismus „sein Glück zu machen“, werden die kolportierten Geschichten derjenigen Menschen hergenommen, die es „vom Tellerwäscher zum Millionär“ geschafft hätten. Diese Möglichkeit stehe jedem offen.


Nun kann man mit der Tatsache, dass es einige Menschen gibt, die ihr Leben lang geraucht haben und trotzdem 95 Jahre alt geworden sind, auch „beweisen“, dass Rauchen „nicht ungesund“ sei. Wenn man die Tatsache unterschlägt, dass es in Deutschland pro Jahr ungefähr 40.000 Tote durch Lungenkrebs gibt, und dass – medizinisch erwiesen – diese Lungenkrebstoten zu >90 % Raucher waren, wenn man weiterhin unterschlägt, dass die statistische Lebenserwartung pro Zigarette um 22 Minuten sinkt – wenn man das alles geflissentlich ignoriert, dann muss man nur noch die „guten Beispiele“ vom qualmenden hundertjährigen Opa im Schaukelstuhl oft genug als angeblich repräsentativ herumposaunen. Mit solchen Taschenspielertricks, mit der Präsentation statistischer, nicht repräsentativer Ausreißer, lässt sich dann letztendlich alles „beweisen“.


Zudem herrschten in der guten alten Zeit der „Tellerwäscher“, also vielleicht zu Anfang des 20. Jahrhunderts, ganz andere Rahmenbedingungen, die sich von den heutigen z.T. grundlegend unterscheiden. Es war damals einfacher, ein Patent anzumelden, man brauchte weniger Grundkapital, um ein Geschäft aufzubauen. Es gibt heutzutage auch viel weniger Möglichkeiten als früher, ohne eine hinreichende Berufsausbildung eine Existenz aufzubauen. Die wenigen Beispiele heutiger Existenzgründer, die mit ihren Projekten wirklich in kurzer Zeit viel Geld gemacht haben, sind nicht repräsentativ, und sie dürfen nicht über die vielen gestrandeten Existenzen hinwegtäuschen, die verflixt gute Ideen hatten, jedoch einfach an den zunehmend schwieriger gewordenen Rahmenbedingungen gescheitert sind. Ihre Ideen werden dann z.T. erst einige Jahrzehnte später von anderen umgesetzt. Zudem zeigt die bekannte, jüngst auch verfilmte Geschichte eines sozialen Portals im Internet, wie einem Projekterfinder seine Idee einfach aus der Hand genommen werden kann, von einem anderen, der ihm die Idee schlicht und einfach geklaut und damit Geld gemacht hat. Frechheit siegt leider oft. Und Tüchtigkeit allein ist keinesfalls schon eine Garantie für Erfolg, heutzutage weniger als früher.


Wenn man darüber hinaus nicht von der Gnade einer Geburt in einem reichen Elternhaus gesegnet ist, wo man auch mit einem Intelligenzquotienten von vielleicht um 60 % noch irgendwie durch eine Privatschule geschleust und dann über „Vitamin-B“ auf irgendeinen Posten gesetzt wird, wo man hoffentlich nicht allzu viel schlimmes anrichten kann, jedoch trotzdem ein gutes Auskommen hat, sondern wenn man leider das Pech hat, in einem Slum in Rio geboren worden zu sein – dann kann man noch so intelligent und willig sein: die Wahrscheinlichkeit, dass man es dann schafft, aus diesen Verhältnissen herauszukommen, ist extrem gering. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass man aufgrund der medizinischen Unterversorgung schon als Baby z.B. an Lungenentzündung, Cholera oder anderen Krankheiten stirbt, ist wesentlich höher. Alle guten Anlagen nutzen dann nichts, man ist von Anfang an chancenlos, während vielleicht der vor sich hin grinsende Sohn eines Superreichen, nachdem man ihm mit viel Mühe das Alphabet und die Grundrechenarten beigebracht hat, durch Internat und Studium geschleust wird und anschließend als „Presentation Manager“ in irgendeinem Consulting-Unternehmen für seinen Chef die Power-Point-Präsentationen zusammenstellen darf und dafür sechsstellige Jahresgehälter kassiert.


Dabei ist es beileibe nicht so, dass diejenigen, die an den US-Spitzenuniversitäten studieren und es später ganz nach oben schaffen, etwa nichts leisten müssten. Das Gegenteil ist der Fall. Sie müssen hart arbeiten, allein die Anforderungen für die Aufnahme sind extrem hoch. Jedoch bleiben sie in ihrer sozialen Gruppe weitgehend unter sich. Die Studiengebühren an den Spitzenuniversitäten sind so hoch, dass - mit den wenigen Ausnahmen der Stipendiaten vielleicht - der Zugang für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen versperrt ist.


Die Tatsache, dass es grobe Ungerechtigkeiten und Chancenungleichheiten gibt, die von Anfang an zu einer Selektion des Personenkreises führen, der überhaupt die Möglichkeit hat, an die Verwirklichung seiner „Freiheit“ auch nur zu denken, wird vom Neoliberalismus vollkommen ignoriert. Mit welchem Recht erhält der eine Mensch Möglichkeiten zugestanden, die dem anderen ein Leben lang verschlossen bleiben?

Mit welchem Recht sitzt der eine Robinson Crusoe auf einer Insel, wo ihm die Brathähnchen vom Baum in den Mund fallen, wenn er nur das Maul aufreißt und „aaah“ sagt, während der andere Robinson Crusoe auf einem verödeten Wüstenarchipel hockt, wo es außer ein paar abgemagerten Leguanen und ein paar Stranddisteln nichts gibt, und von wo er nicht weg kann, weil der fette Robinson von der Brathähnchen-Insel ihm das Boot geklaut hat, obwohl der schon fünf Boote hatte? Diese Frage gehört schon zu den vielen Tabuzonen des Neoliberalismus. Vielmehr wird jemandem, der diese Frage zu stellen wagt, sofort vorgeworfen, ein „Kommunist“ zu sein, ferner sei dies „Förderung von Schmarotzern und Schädlingen“, die womöglich nur auf Staatskosten von fremden Steuergeldern leben wollten.


Aber diese bequemen Erklärungen greifen zu kurz. Es ist eine weitgehend anerkannte Tatsache, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Gesellschaftsschicht und Lebenschancen gibt. Es ist aber inzwischen auch anerkannt, dass die Länder, die über ein durchlässigeres Bildungswesen verfügen, das auch den Mitgliedern niedrigerer Schichten Aufstiegsschancen bietet, heute bezüglich des allgemeinen Bildungsstandards sowie auch in der Wirtschaftsleistung besser dastehen. Von einer Steigerung des Bildungsstandards in Drittweltländern würden ebenfalls alle profitieren, letztlich auch die Industrieländer. Ein Markt für die Güter und Dienstleistungen entsteht nur durch Bildung.


Es ist aber von Anfang an gar nicht erst das Ziel des Neoliberalismus gewesen, Chancengleichheit und Gerechtigkeit für eine möglichst große Zahl von Menschen zu erreichen. Das Allgemeinwohl war nie das Ziel. Sondern der Neoliberalist denkt primär an das „Meinwohl“. Er selbst definiert aus einer propagandistischen Position der Stärke und mithilfe der Unterstützung einflussreicher Kreise die Regeln, die der elitären bourgeoisen Kaste nicht nur eine Art zementierte Bestandsgarantie verschaffen, sondern die deren Besitzstände nach Möglichkeit noch ausbauen sollen. Der Neoliberalismus, gepaart mit dem Neokonservativismus, ist eine restaurative Gegenreaktion mit dem Zweck der Besitzstandsmehrung unter weitgehendem Verzicht auf Belange des Gemeinwohls.


Die Auseinandersetzung mit genau diesen Grundlagen ist notwendig, wenn man die Denkweise des Neoliberalismus richtig verstehen will. Weil der Neoliberalismus es hervorragend schafft, sich hinter einer bürgerlichen Fassade, ja sogar z.T. hinter einer scheinbar bigotten Frömmigkeit zu verstecken. Man kann sich davon leicht blenden lassen, wenn man die tatsächliche mentale Basis dieser Ideologie nicht durchschaut hat. Wenn man nicht durchschaut hat, dass man es mit einer Ideologie zu tun hat, die das Prinzip Gier zum Ziel des Wirtschaftslebens erhoben und daraus eine Wirtschaftstheorie gestrickt hat. Wenn man nicht verstanden hat, welche fatalen Folgen es hat, wenn das Wirtschaftsleben nicht mehr den Belangen des Gemeinwohls unterstellt wird.


Die diffuse Wut des Normalbürgers auf die elitäre Kälte der Finanzwirtschaft hat sehr viel mit einer mentalen Hilflosigkeit gegenüber diesem Ignorieren fundamentaler ethischer Prinzipien zu tun. Weil jedoch dieses Thema keinen hinreichenden Eingang in die öffentliche Diskussion findet, hat diese diffuse Abscheu keinen Aufhängepunkt. Die Neoliberalen weichen einer ethischen Grundsatzdiskussion immer wieder ganz gezielt aus. Die öffentliche Diskussion muss daher immer wieder die Prinzipienlosigkeit des Neoliberalismus herausstellen und die erreichten desolaten Ergebnisse, die ja nun jedem in Form der Finanzkrise deutlich genug sichtbar geworden sind, an eben dieser ethischen Prinzipienlosigkeit festmachen.


Es gibt eine große Zahl positiver Beispiele dafür, dass kritische Stimmen gegenüber der noch vorherrschenden Mentalität der neokonservativen Ellenbogenideologie lauter werden. Der katholische Kardinal von München-Freising, Reinhard Marx, schreibt in seinem Buch „Das Kapital“:


Ich will nicht tatenlos zusehen und –hören, wenn die Sünde gelobt und praktiziert wird, denn Gier ist nach der Lehre der Kirche eine Hauptsünde. Als Christ und in Übereinstimmung mit Immanuel Kant gehe ich davon aus, dass der Mensch an sich ein sittliches Subjekt ist, das darauf angelegt ist, das Gute zu suchen, gut zu leben, ein Gewissen zu haben. Das ist ein Anspruch, der am Anfang stehen muss. Wenn wir den aufgeben, brauchen wir gar nicht weiter zu diskutieren. Dann geht es nur noch um Interessenausgleich und um den Kampf der Stärkeren gegen die Schwächeren. Dann ist Ethik eigentlich ausgeklammert.“


Humanisten und Theologen sind sich weltweit prinzipiell einig in ihrer Forderung nach einer Renaissance der „alten Werte“, nach einer Unterstellung der Wirtschaftspolitik unter das politische Primat des Allgemeinwohls. Derzeit ist jedoch tatsächlich eine Diskussion mit den einflussreichen und mächtigen Neokonservativen schlichtweg unmöglich. Die Neokonservativen sind nach wie vor der Meinung, man könne einfach so weitermachen wie bisher, vielleicht müsse man es im Gegenteil sogar nur noch bunter treiben. Weiterhin verweigern sie sich jeder vernünftigen Diskussion über Themen des Allgemeinwohls. Die erbitterte und beschämende Diskussion, die der frühere US-Präsident Obama während der Gesetzesinitiative zu einer Krankenversicherung für Kinder führen musste, sowie die Verweigerung effektiver Maßnahmen zur Kontrolle der Rating-Agenturen und Regulierung der Finanzmärkte zeigen, dass die Neokonservativen nicht bereit sind, die einmal erarbeiteten Machtpositionen auch nur um einen Inch preiszugeben.


Im Gegenzug dazu ist es Aufgabe der Kritiker, die vielen Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit neokonservativer Ideologie immer wieder in der öffentlichen Diskussion deutlich zu machen. Die Weigerung, die Lehren aus dem Fehlschlag des neokonservativen Experiments der letzten vier Jahrzehnte zu ziehen, könnte früher oder später in einem Crash der amerikanischen Währung resultieren. Erst dann werden die Akteure zu einer Aufgabe ihrer Positionen gezwungen sein. Das darf man ihnen als Kritiker ruhig schon einmal prophezeien, und man darf ihnen die jetzt schon desolaten Ergebnisse ihrer Politik vor Augen halten. Diesbezüglich sind die Kritiker in der öffentlichen Debatte nach wie vor viel zu leise.


Insbesondere sollten wir uns die Versuche „liberaler“ Strömungen, die Axt an den Sozialstaat zu legen, und die ständigen Vorwürfe „spätrömischer Dekadenz“ nicht unwidersprochen bieten lassen. Auch in der deutschen Innenpolitik gibt es ständige Versuche, restaurative neokonservative Konzepte zu etablieren, und immer wieder dieselben anderswo schon fehlgeschlagenen Experimente auf Kosten des Allgemeinwohls zu wiederholen. Hiergegen ist entschiedener Widerstand gefragt. Dieser Widerstand muss immer wieder die ethische Prinzipienlosigkeit neokonservativer Wirtschaftspolitik thematisieren.


Bemerkenswert ist, wie der Neoliberalismus den „freien Welthandel“ als über allen moralischen und rechtlichen Prinzipien stehend verherrlicht. Prinzipiell ist er offenbar selbst dem internationalen Völkerrecht übergeordnet.

Der Neoliberalismus enthält also eine ideologische Komponente. Kennzeichnend für jede Ideologie ist, dass menschliche Belange einem angeblich höheren Ziel untergeordnet werden.

Eine sehr verlogene Ideologie ist es noch dazu. Denn „freier Welthandel“ ist immer nur unilateral gemeint. Der Starke darf sich schützen, der Schwache hat sich ausweiden zu lassen. Die Lüge besteht darin, diesen „freien Welthandel“ als Allheilmittel gegen die Armut der Welt und als „Motor der globalen Entwicklung“ öffentlich zu verkaufen. Das Experiment hat jedoch spätestens mit der Finanzkrise Insolvenz anmelden müssen.


Kennzeichnend für jede Ideologie ist auch, dass sie selbst in der Periode ihres kläglichsten Scheiterns noch vehement verteidigt wird. So wird auch jetzt der Grund für das Nichtanschlagen neoliberaler Wirtschaftskonzepte, sofern diese Tatsache überhaupt zugegeben wird, darin gesehen, dass die Ideen eben nicht rücksichtslos und hartnäckig genug umgesetzt wurden.

Ein paar Millionen Hungertote mehr, ein bisschen mehr Naturraubbau, ein paar Finanzkrisen mehr, noch ein paar Staatsbankrotte, Arbeitslose und Bürgerkriege hätte man eben um der guten Sache willen in Kauf nehmen müssen.

Ein paar Jahre Gürtelengerschnallen noch, und man hätte es schaffen können.

Jetzt aber drohen die Neo-Keynesianer und Neomarxisten alles kaputtzumachen, was 30 Jahre lang in mühseliger public-relations-Arbeit und globaler Ausplünderung aufgebaut wurde.


Es war allerdings auch ein harter, jahrzehntelanger Kampf, bis man dahin gekommen war, wo man jetzt ist. Ermöglicht wurde der „Sieg des freien Welthandels“ erst durch die marktradikale Globalisierung.


Globalisierter Turbokapitalismus und Neoliberalismus bedingen einander. Der Neoliberalismus bildet den ideologischen Fahrplan der Globalisierung. Und erst die Globalisierung ermöglicht die ungehemmte Durchsetzung des marktradikalen Neoliberalismus unter Hinwegsetzung über nationale Schranken.

Das ist sicher auch der Grund, warum die Protagonisten des Neoliberalismus 30 Jahre auf ihre Chance warten mussten, bis ihre Ideen in einem großen Teil der Welt zur herrschenden Doktrin avancieren konnten. Erst musste die Welt technisch zusammenwachsen, durch Internet, schnelle Verkehrsverbindungen etc., um einen grenzüberschreitenden Handel aufzubauen, in dem alle Komponenten – auch der Faktor Arbeit – beliebig international austauschbar und verschiebbar wurden. Erst mussten die Machtpositionen internationaler Organisationen wie Weltbank, IWF, WTO ausgebaut werden, die als zusätzliche Druckmittel benutzt werden, um neoliberale Wirtschaftspraktiken international durchzusetzen. Passenderweise brach zur selben Zeit der Ostblock zusammen. Erst musste man warten, bis aufgrund der massiven, jahrzehntelangen Propaganda der internatonale Kapitalverkehr liberalisiert wurde und damit die nationalen Regierungen die wichtigsten Steuerelemente für ihre Fiskalpolitik völlig aus der Hand gaben. Erst dann hatte der Neoliberalismus freie Bahn.


Das Mutterland des Neoliberalismus sind die USA. Milton Friedman war Amerikaner, und der Neoliberalismus wurde politisch im großen Stil zuerst von der Reagan-Regierung umgesetzt, wenn auch zunächst mit Betonung auf den Monetarismus.

Daher wird im folgenden sehr oft Bezug auf US-amerikanische Begebenheiten genommen. Es kann hier zwar der Eindruck eines Anti-Amerikanismus entstehen, was aber nicht beabsichtigt ist. Zwangsweise tun sich allerdings im Land der unbegrenzten Möglichkeiten selbst die größten Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf. Ich werde im folgenden z.B. darlegen, dass die USA als die Proklamateure des freien Welthandels gleichzeitig die größten Protektionisten sind, feste Wechselkurse des Dollars mit der chinesischen Währung dulden, ihre eigene Wirtschaft massiv subventionieren, eine versteckte, hohe Staatsquote am BSP durch die immensen Rüstungsausgaben haben, mit einem himmelschreienden Außenhandelsdefizit prächtig leben, weil andere es (noch...) bezahlen, und bis zum Stehkragen verschuldet sind. Das wussten wir übrigens bereits vor der Finanzkrise.


Diese Widersprüche sind nun tatsächlich derart eklatant, dass sie nicht zugunsten einer romantisch-transatlantischen Verklärtheit unkommentiert stehen bleiben können, zumal viele dieser Widersprüche in der öffentlichen Diskussion, wenn z.B. vor der Finanzkrise das hohe Wirtschaftswachstum der Vereinigten Staaten im Vergleich mit Deutschland über den grünen Klee gelobt wurde, in der unsäglichen „Standortdebatte“ lange Zeit systematisch totgeschwiegen wurden.

Über Jahrzehnte hinweg durfte sich das Heimatland des Neoliberalismus, wo man immer schon ökonomische Kernkompetenz für sich reklamiert hatte, über volkswirtschaftliche Grundgesetze ungestraft hinwegsetzen. Die Zeit wird zeigen, wie lange das noch möglich und tragbar ist. Alle Anzeichen deuten jedoch darauf hin, dass diese Zeit vorbei geht – spätestens seit der Finanzkrise.


Prinzipiell kann man in der Turbo-Globalisierung eine Weile hervorragend leben, wenn man es versteht, die Spielregeln zu bestimmen und hemmungslos seinen eigenen geostrategischen Vorteil auszuspielen – vorzugsweise auf Kosten anderer.

In letzter Konsequenz ermöglicht es der Neoliberalismus dem Starken, der die Regeln diktiert, diese Regeln allen anderen aufzuzwingen, während er selbst täglich genau das Gegenteil exerziert und dies alle anderen bezahlen lässt. Zum Wohl des freien Handels, für freie Bürger, in einer freien Welt, für die Demokratie etc.

Jedoch zeigt die Weltgeschichte, dass solche Verwerfungen noch nie dauerhaften Bestand hatten.

Mehr zur Geschichte der Globalisierung und des Neoliberalismus im Teil 3.

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